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VDI-Studie: Grünes Autofahren nur mit CO₂-freiem Strom.

Autoindustrie

Elektrofahrzeuge sind nicht emissionsfrei.

Doch das Elektrofahrzeug, das beim Händler steht, wird als emissionsfrei angezeigt. Aber dies ist nicht wahr, denn bei der Produktion des Autos und des verbrauchten Stroms entstehen CO₂ (und andere Emissionen).

Was ist dann wahr? Es ist kompliziert.

CO₂-freies Autofahren ist heute im Normalbetrieb nicht möglich.

Konzentrieren wir uns auf CO₂ und vernachlässigen alle anderen Emissionen: Allein das ist sehr kompliziert. Fahrzeugtyp, Herstellungsort, Erzeugungsart und Fahrverhalten sind nur einige Faktoren, welche den CO₂-Fußabdruck bestimmen. Hinzu kommt: Die öffentliche Meinung kann rationale Komplexität sehr schwer verarbeiten. Die emotionalen Diskussionen auf sozialen Medien sind ein Nachweis dafür. Die sinkenden Absatzzahlen von Elektrofahrzeugen sind ein weiterer Grund.

Wahr ist: Elektrofahrzeuge können langfristig zu weniger Emissionen führen.

Die wissenschaftlichen Fakten dazu liefert der Verein Deutscher Ingenieure (VD) in einer aufwendigen Studie: “Wann wird Autofahren grün”?

Fazit der Studie: Nur grüner Strom macht Autofahren grün. Ohne grünen Strom kein grünes Autofahren. Denn unser Strom ist im Mix heute nicht grün.

Von grünem Strom ist Deutschland Dekaden entfernt.

Der offizielle Wert der CO₂-Emissionen pro erzeugter Kilowattstunde Strom lag 2023 bei 380 g/kWh (Quelle: Statista).

Das ist der Durchschnittswert aus den verschiedenen Erzeugungsarten: Kern-, Wind-, Wasser- und Solarkraftwerke gehen mit 0g CO₂/kWh ein. Bei einem Kohlekraftwerk sind es über 1.000g CO₂/kWh.

Das Absinken der CO₂-Emissionen muss im Zusammenhang mit der Menge erzeugten Stroms gesehen werden. Das Bundesumweltamt schreibt:

Der Stromverbrauch stieg in der Zeit von 1990 von 479 TWh auf 582 TWh im Jahr 2017. Seit 2018 ist erstmalig eine Verringerung des Stromverbrauchs auf 572 TWh zu verzeichnen. Mit 511 TWh für 2020 wurde ein Tiefstand erreicht. Im Jahr 2021 ist ein Anstieg des Stromverbrauchs infolge der wirtschaftlichen Erholung nach dem ersten Pandemiejahr auf 523 TWh zu verzeichnen. Um im Jahr 2022 wieder auf 513 TWh zu sinken.

Das bedeutet, die Kurve oben wird nicht nur durch die Erzeugungsart (Kohle, Solar, Wind), sondern auch durch Produktion und Verbrauch bestimmt:

  • Der Kraftwerkspark in Deutschland wurde seit 1990 modernisiert, mit Anlagen mit höherem Wirkungsgrad. Dieser Umbau ist ein sehr langwieriger Prozess.
  • Zusätzlich wurden Solar und Wind massiv ausgebaut und übernehmen bei entsprechenden Wetterlagen bereits einen Großteil der Stromproduktion. Während „Dunkelflauten” bzw. wenn der aktuelle Bedarf die aktuelle Wind- und Solar-Produktion übersteigt, muss dieser Bedarf durch Kohle- bzw. Gaskraftwerke gedeckt werden.
  • Am 15.4.2023 wurden die letzten drei KKW-Blöcke mit einer Leistung von etwa 3 GW abgeschaltet. Damit ist vorerst die Erzeugung CO₂-freien, günstigen Stroms aus Kernkraft in Deutschland beendet. Die Nachbarländer Polen, Tschechien und Frankreich arbeiten derzeit an Neubauten, und auch in der Schweiz setzt man weiterhin auf die Kernenergie.
  • Seit 2018 wurde in Deutschland erstmals weniger Energie verbraucht. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine und dem Wegfall billigen Pipelinegases sinkt der Stromverbrauch in Deutschland (siehe Grafik).

Das bedeutet, dass wir in Deutschland die Emission in den letzten 35 Jahren durch Modernisierung, den Zubau Erneuerbarer Energie sowie die Abschaltung großer Verbraucher den Ausstoß von CO2 pro verbrauchter Kilowattstunde Strom halbieren konnten.

Gleichzeitig wird durch höhere Produktivität und dadurch ausgelöstes Wachstum mehr Energie verbraucht werden: Große Produktivitätsgewinne werden durch die flächendeckende Nutzung von Künstlicher Intelligenz erwartet. In den USA schätzt man den durch KI (Künstlichen Intelligenz) benötigten Zubau an neuer Erzeugungskapazität auf etwa 20% der bisher installierten Leistung. In einer ähnlichen Größenordnung sollte der Bedarf auch in Deutschland liegen.

Die Umstellung auf 100% emissionsfreien Strom wird auf diesem Weg mehrere Dekaden brauchen. Um flächendeckenden günstigen “grünen Strom” rund um die Uhr zu erreichen, sind noch entscheidende technische Durchbrüche bei Erzeugung, Verteilung und Speicherung von Strom erforderlich.

Bisherige Konzepte der Energieversorgung reichen nicht aus.

Trotz des erfolgreichen Zubaus erneuerbarer Energien begegnet die deutsche Energie- und Industriepolitik im Ausland, aber auch von großen Teilen der Bevölkerung, Erstaunen und Unverständnis.

Es gibt mehr Beispiele. Der deutsche Weg ist ein Sonderweg einer Industrienation.

Die Energieerzeugung weltweit ist im Jahr 2023 immer noch überwältigend fossil. Der starke Zuwachs an erneuerbaren Energien wird zum großen Teil durch den wachsenden Energiebedarf einer sich wirtschaftlich und technologisch weiterentwickelnden Welt aufgebraucht.

Die Grafik von OurworldinData.com zeigt:

  • Der Energiebedarf weltweit wächst exponentiell, da die Weltbevölkerung zunehmend wohlhabender und produktiver wird. Günstige Energie fördert Wirtschaftswachstum in allen Regionen der Welt. Und somit wird der Energiebedarf weiter exponentiell wachsen.
  • Dieser weltweite Energiebedarf wird sich aus den günstigsten, vorhandenen Energiequellen speisen, unabhängig von der Erzeugungsart. Man könnte auch sagen, dass jede geförderte Tonne Kohle, welche in Deutschland eingespart und nicht verbraucht wird, von anderen Ländern gekauft und verbraucht wird.
  • Trotz des massiven Zubaus an Solar- und Windkraftwerken spielen Erneuerbare Energien für den globalen Energiemix eine sehr geringe Rolle. Dies wird sich auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten kaum ändern, wenn nicht die Ausbaugeschwindigkeit exponentiell geändert werden kann.
  • Nuklear spielt bisher auch nur eine marginale Rolle im globalen Energiemix. Der Zubau neuer Anlagen weltweit wächst. Große Hoffnung bereiten neue, sichere Technologien wie Small Modular Reactors (SMR), Reaktoren der vierten Generation bzw. Kugelhaufenreaktoren, die sich bereits in der Industrialisierungsphase befinden. Aber selbst unter optimistischsten Szenarien wird es mehrere Dekaden brauchen, bis der Anteil von Nuklearstrom über eine Schwelle von 30% oder 50% am Energiemix weltweit kommt.

Zu der Grafik ist anzumerken, dass ein Großteil der Primärenergie nicht in Strom umgewandelt wird. Zum Beispiel, wenn fossile Energieträger in Produktionsprozessen, wie der Chemie- oder der Stahlindustrie, direkt verbrannt werden.

Doch der Primärenergieverbrauch bestimmt die Treibhausgas-Emissionen: je mehr fossile Energieträger verbraucht werden, um so höher sind die Emissionen.

Die Umstellung auf CO₂-freie Energieerzeugung ist nicht die Aufgabe einer Generation, sondern die Aufgabe des Jahrhunderts. Selbst bei dem heute bestehenden Ausbautempo von Solar- und Windkraft.

Die flächendeckende Versorgung mit grünem Strom bis zum Ende dieses Jahrhunderts bleibt eine kühne, aber erreichbare Vision. Dies in wenigen Jahren zu erreichen, ist jedoch aussichtslos.

Die Studie beweist: Langfristig können wir Verkehr emissionsfrei machen.

Was sind aber heute die genauen Emissionen eines Elektrofahrzeuges?

Der VDI (Verein Deutscher Ingenieure) hat mit 25 Forschern den Sachverhalt in einer Vergleichsstudie zwischen Benzinern, Dieseln, Hybriden und BEV aufwändig untersucht. Die Annahmen der Studie sind sehr plausibel: ein Kompaktfahrzeug (Golf-Klasse) wird 200.000 km gefahren. Es werden die CO₂-Emissionen für die Herstellung, den Betrieb und die Entsorgung des Fahrzeuges ermittelt. Für die Stromerzeugung wird ein Mittelwertansatz herangezogen (entspricht der Grafik zu den gCO₂/kWh), und gleichzeitig einem Marginalansatz gegenübergestellt (Verwendung CO₂-freien Solarstroms).

Das sind die Ergebnisse:

  • Elektrofahrzeuge sind heute schon energieeffizienter als Verbrenner. Mit neuen Batterietechnologien wird dieser Vorsprung nur größer werden.
  • Entscheidend für die CO₂-Emissionen ist der Energiemix. D.. die Energieversorgung muss umgebaut werden von fossil auf nicht-fossil.

Für alle, die keine Zeit haben, sich die Studie genau anzuschauen, habe ich zwei Podcasts verlinkt, die sich der Studie aus unterschiedlichen Perspektiven angenommen haben:

  • Alex Bloch, Chefkorrespondent und Chief Explanation Officer von AutoMotor Sport, erklärt in einem aufwändigen Video, warum die 0g CO₂ in den Verkaufsprospekten falsch und warum die WLTP-Reichweiten von Elektrofahrzeugen unzuverlässig sind. Er erklärt, warum die Produktion von Batterien viel energieaufwändiger ist als die Herstellung eines Verbrennungsmotors. Durch den hohen Kohlestromanteil in China ist enorm viel CO₂ in die Batterien bereits “eingebacken”. Sein Fazit: Wir sind von CO₂-freiem Fahren sehr weit entfernt.
  • Eine andere Perspektive wird vom Batterie-Professor Fichtner im “Geladen”-Podcast (der beste zum Thema) des Karlsruhe Institute for Technology (KIT) eingenommen. Er kritisiert, dass die meisten Verbrennerfahrzeuge SUV sind und die Studie Kompaktfahrzeuge untersucht. Hier wird festgestellt, dass die CO₂-Einsparung bei EV bei 40–60 % gegenüber einem Verbrenner liegt. Die Teilnehmer betonen auch, wie wichtig eine lokale, CO₂-neutrale Fertigung von Batteriezellen in Europa ist, wie von North Volt beispielsweise geplant wird.

Letztlich ringen beide Lager, der kunden- und industrienahe Chief Explanation Officer und die Forscher des KIT, um eine Erklärung dafür, warum und wie wir flächendeckend Elektrofahrzeugflotten bekommen, um schädliche Treibhausgase zu vermeiden.

Deren Aufbau braucht sehr viel Zeit. Die Technologiesprünge bei EVs in den letzten 15 Jahren sind atemberaubend und haben viele Kunden begeistert. Was aber in der aktuellen Diskussion deutlich wird: Ob es die Lokalisierung der Batterietechnologie in Europa ist. Oder die Weiterentwicklung zur Feststoffbatterie. Oder die Durchdringung der Fahrzeugflotte mit modernen Elektroantrieben. Oder die Umstellung auf CO₂-freie Stromerzeugung – alles muss zusammenspielen, damit die Vision Wirklichkeit wird.

Und das wird Jahrzehnte dauern.

Es gibt keine Abkürzung.

Trotzdem der Händler ein neues Elektrofahrzeug mit 0g CO₂-Emissionen ausweist, weil EU-Recht es dem Hersteller so vorschreibt, erzeugen EV 75 % des CO₂ eines Dieselfahrzeuges.

Mit anderen Worten: Auch wenn es das politisch erklärte Ziel ist, große Flotten aus Elektrofahrzeugen aufzubauen, und man das auch plausibel den Wählern und Konsumenten erklären kann, reicht es nicht aus, das Messverfahren vorzugeben.

Denn jeder Autofahrer begreift bewusst und unbewusst die Komplexität des Unterfangens. Spätestens, wenn er sich in ein Elektrofahrzeug setzt und eigene Erfahrungen sammelt.

Und das zeigt sich an den derzeit schwachen Absatzzahlen: Das DAT-Barometer schreibt: „Die Halbjahresbilanz der BEV-Neuzulassungen zeigt jedenfalls ein zweistelliges Minus, und auch der Elektro-Gebrauchtwagenmarkt bleibt überschaubar. Die privat angeschafften BEV sind neu wie gebraucht mit jeweils rund 70.000 Einheiten in den ersten sechs Monaten kaum spürbar.“

Käufer verstehen, dass die Rahmenbedingungen nicht für BEV vorteilhaft sind: Nur 12,5 % der Neufahrzeuge sind rein elektrisch. Davon werden 39 % von Privatkäufern erworben. Es reicht nicht aus, die Messmethode für Abgase immer schärfer zu stellen. Das stellte auch kürzlich Renault-CEO Luca de Meo auf LinkedIn fest.

Für die vielfältigen Kriterien, die beim Kauf eines BEV ins Gewicht fallen (Kaufpreis, persönlicher Beitrag zum Umweltschutz, Reichweite, Ladeinfrastruktur, Restwerte, bidirektionales Laden, Strommix u..) muss die EU fördernde Rahmenbedingungen schaffen.

Oder sie muss die Erzeugung dieses Rahmens dem Markt, den Kunden und der Industrie überlassen. Denn Elektrofahrzeuge werden sich durchsetzen, da sie langfristig die bessere Technologie sind.

Das kurzfristige Drehen an den Abgaswerten ist unterkomplex und keine Antwort auf die Herausforderungen in globalem Klimaschutz, wirtschaftlichem Wachstum und den Kosten individueller Mobilität.

Die Nichtzulassung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren ab 2035 allein wird nicht den erwünschten Effekt auf Emissionen des Individualverkehrs haben.

Stattdessen braucht es einen Rahmen durch die EU für die kommenden Dekaden, der die Komplexität des Feldes greift, um das Ziel emissionsfreien Verkehrs zu realisieren.

Vielen Dank an die Forscher des VDI und des KIT für diese Studie, die eines kristallklar und für jeden unmissverständlich deutlich gemacht hat:

Die Autoindustrie wird das Weltklima im Alleingang nicht ändern können.

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