Übersicht:
Viel wurde über Tesla in Berlin-Grünheide und die Krise bei Volkswagen gesprochen. Schnell war man sich einig, dass US-Milliardäre wie Elon Musk und auch die Führungskräfte ihren Anteil zur Lösung der Krise beitragen sollten.
Wenn das so klar ist, warum wurde es bisher nicht gemacht?
Berufswechsel mit 40 oder 50.
Fast alle Hersteller stecken in einer historischen Krise. Durch Marktrückgang und stärkeren Wettbewerb, besonders in China, werden weniger Autos, nicht nur in Deutschland, gebaut und verkauft.
Carlos Tavares, vor einem Jahr noch Superstar mit 10 % Umsatzrendite, muss heute um seinen Job bangen und sagt: „Es gibt keine Tabus.”
Marktrückgänge gab es auch in der Vergangenheit. Diese wurden durch Kurzarbeit und Nichtverlängerung von Leiharbeitern abgepuffert. Doch diesmal trifft es auch die Führungsmannschaft.
Und zwar massiv.
Denn die Führungsmannschaft ist verantwortlich für eine Krise des Unternehmens. Allein, diese Verantwortlichkeit anzunehmen, widerspricht ihrem Beruf als Manager.
Automanager agieren wie Frontsoldaten.
Der Einfluss eines einzelnen Managers, wie zum Beispiel Tavares, wird überschätzt.
Vor der Krise haben die Führungsmannschaften es versäumt, die Entscheidungsstrukturen anzupassen. Entscheidungsstrukturen sind wichtiger als einzelne Manager. Strategische Entscheidungen werden so nicht oder falsch getroffen. Aufgrund falscher Entscheidungen beschäftigt sich die Mannschaft mit falschen Dingen und verliert Zeit und Produktivität.
Mit dieser Erkenntnis stellt Audi aktuell seinen Produktentstehungsprozess um. Die neuen Autos passen nicht in den Markt. Es wurden zu viele schlechte und falsche Entscheidungen getroffen.
Der Widerstand gegen solche Veränderungen ist enorm und absolut rational. Denn die wesentlichen Aufgaben von Managern in der Autoindustrie bestehen darin, jeden Tag ihre Position zu behaupten.
Sie sind wie Frontsoldaten mit jahrelanger Erfahrung im Kampf. Die meiste Zeit arbeiten sie daran, ihre Position zu halten und zu verteidigen. Bei günstigen Gelegenheiten rücken sie vor und bauen ihre Positionen aus. Sie wollen einen Platz an den Geldströmen verteidigen, die durch die industrielle Autoproduktion gespeist werden. Einige kämpfen sich weit nach vorne, bis sie an die Quelle des Geldes kommen. Darauf wird viel Zeit und Energie verwendet. Eigentlich sollten sie die Priester der Quelle sein und dafür sorgen, dass der Strom immer größer wird und nie versiegt. Tatsächlich verwenden sie ihre Zeit und Energie für das eigene Behaupten und Vorankommen. Die eigentliche Aufgabe, nachhaltig profitable Geschäfte aufzubauen, bleibt im Tagesgeschäft wenig Zeit.
Jetzt wird hektisch umgesteuert. Das ist aber mit den bestehenden Führungssystemen unmöglich.
Der Abfindungsfaktor ist so groß wie der Widerstand.
Es wird viel Geld in die Hand genommen, um die alte Führungsmannschaft zu bewegen. Der Abfindungsfaktor gibt dabei an, wie viele Monatsgehälter pro Jahr Betriebszugehörigkeit bei der Annahme eines Abfindungsangebotes gezahlt werden.
- Gesetzlicher Abfindungsfaktor: 0,5
- Allgemeine Industriespanne: 1 bis 1,5
- „Goldener Handschlag“-Angebote: 3+
Doch selbst großzügige Abfindungsangebote werden oft nicht angenommen. Denn sie berücksichtigen zu wenig das Denken und das Abwägen eines Managers. Rationales Handeln ist das Kennzeichen eines Managers. Rationale Menschen haben klare Präferenzen, wägen verschiedene Optionen ab, optimieren konsistent den Nutzen und besorgen alle für eine Entscheidung notwendigen Informationen. Das macht Entscheidungen und Verhalten sehr gut vorhersagbar.
Allerdings hat niemand perfekte Informationen und Denkgewohnheiten kommen noch hinzu. Ein kleines Denkmodell macht deutlich, woher Beharrungskräfte kommen und warum es so schwer ist, sie zu überwinden. Eine Person trifft eine Entscheidung, indem sie zunächst ihre aktuelle Situation mit zwei Referenzpunkten bewertet: ihr Wunschbild bzw. Ideal sowie die Option, die sie mit der Entscheidung tatsächlich erreichen kann. Dabei ist das Ideal immer besser als die IST-Situation.
Bleibt die Frage, wie die zur Wahl stehende Option (hier ein Abfindungsangebot) eingeordnet wird.
Daraus ergeben sich insgesamt drei Szenarien:
- Die Option ist besser als das Ideal (und damit auch besser als die IST-Situation). In diesem Szenario wird die Entscheidung schnell gefällt sein: Die Person entscheidet sich für die angebotene Option, hier das Abfindungsangebot. Das ist der GOLDENE HANDSCHLAG.
- Die Option ist schlechter als das Ideal, aber besser als die IST-Situation. Das mündet in eine VERHANDLUNG, denn die Person hat ihr Ideal nicht erreicht: Kann man ihr die Alternative schmackhaft machen? Kann die Person etwas herausholen, um dem Ideal näher zu kommen? Die Wahrscheinlichkeit, dass die Person die Option wählt, ist nicht gering. Es braucht allerdings viel Denk- und Überzeugungsarbeit, um sie zur Annahme der Alternative zu bewegen.
- Die Option ist schlechter als die IST-Situation. Hier ist die Person abhängig oder unfrei von der IST-Situation. Jede rationale Person wird sich gegen diese nachteilige Veränderung mit aller Kraft wehren. Es braucht ZWANG, um die Person in die schlechtere Option zu bringen.
Ein Szenario wie in 1. zu erzeugen, ist einfach, aber teuer. Szenario 3 ist nur mit Zwang umsetzbar, ist deswegen kulturell schwierig und wird normalerweise vermieden.
Die meisten Angebote werden dem Szenario 2 ähneln. Sie können sehr leicht als ein Szenario 3 (Zwang) missverstanden werden. Denn sie sind mehrdimensional, unklar und in der Bewertung sehr stark abhängig vom persönlichen „Ideal” und der IST-Situation: Welche persönlichen Ziele verfolgt die Person? Wie ist ihre familiäre Situation und welchen Einfluss hat das soziale Umfeld (Freunde, Arbeitskollegen, andere) auf die Entscheidung? Wie ist ihre finanzielle Situation (Hauskredite, andere Schulden, andere Einkommensarten)? Sind ihre Spielräume bei einer Neuorientierung durch ihre Gesundheit oder durch die Bindung an den aktuellen Wohnort eingeschränkt?
Alle die Antworten auf diese Fragen sind schwer zu finden. Weil sie oft persönlich und teilweise unbewusst sind.
Und dann erscheint es oft so, dass selbst die rationalsten Manager irrational für sich selbst entscheiden.
Zu oft fehlt Klarheit zu Alternativen.
Die durchschnittliche Beschäftigungsdauer beträgt oft 20 Jahre und mehr. In einem jahrzehntelang sehr stabilen und strukturierten Arbeitsumfeld, mit vorhersehbaren Karrieren und klaren Erwartungen. In diesem Umfeld verlernt eine Person, sich zu orientieren. Die wichtigsten Lebensparameter sind vorhersehbar. Das Einkommen ist sicher. Die Rente ist vorhersehbar.
Wenn die Führungsmannschaft jetzt abgebaut wird, müssen die einzelnen Personen Entscheidungen treffen, die außerhalb vorgezeichneter Lebenswege liegen. Sie müssen neu lernen, dass ihr Leben nicht von ihrem Arbeitgeber abhängig ist. Dass es ihr Leben ist und dass allein sie dafür verantwortlich ist.
Hier kann der Arbeitgeber helfen, indem er mehr Zeit und Hilfe bei der Orientierung anbietet. Die Führungskräfte und Mitarbeitenden brauchen Szenario 2 und Unterstützung bei der beruflichen und privaten Orientierung.
Dabei hilft Coaching.
Coaching ist der entscheidende Hebel beim Umbau der Entscheidungsprozesse – für alle, die gehen, und für alle, die bleiben. Deswegen gehe ich von einer immensen Coaching-Welle in der Autoindustrie aus. 68.000 Führungskräfte müssen in den kommenden drei bis vier Jahren neue Wege finden. Bei Kosten von 3.000 bis 10.000€ pro Führungskraft, einer Quote von 50 %, welche sich für ein Coaching anmelden, ist dies ein Markt von 25 bis 100 Millionen Euro jährlich allein in der deutschen Autoindustrie für B2B- und B2C-Coaching.
Coaching lohnt sich in einer Abfindungssituation.
Oft bekomme ich die Aussage: Warum sollten wir eine Abfindung zahlen und zusätzlich die Kosten für einen Coach übernehmen.
Wir haben für verschiedene Unternehmen Business Cases gerechnet, die zeigen, dass sich das Investment in Coaching lohnt:
- Abfindungspakete im Szenario 2 werden häufiger und schneller angenommen. Innerhalb von 6 bis 12 Wochen können einvernehmliche Entscheidungen auch bei sehr schwierigen Fällen herbeigeführt werden.
- Die durchschnittliche Höhe von Abfindungspaketen kann abgesenkt werden.
- Das Coaching ersetzt Outplacement-Beratung.
- Die Kosten für Rechtsstreits werden erheblich reduziert.
- Coaching hat positive Effekte auf die Produktivität im Unternehmen und die verbleibenden Talente.
Woran man einen guten Coach erkennt (Spoiler: nicht allein an der Zertifizierung) und welche Rolle Technologie und neue Formen von Coaching dabei spielen können, dazu hier weiterlesen.