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Eine Ära von Prosperität und technischer Dominanz geht zu Ende: die deutsche Autoindustrie hat den Faden verloren und verliert Marktanteile.
Sowohl Hersteller und Zulieferer überdenken ihre Geschäftsfelder, sind zu Umstrukturierungen gezwungen und entlassen tausende Mitarbeiter und Leiharbeiter.
Warum ist Management in der Autoindustrie gerade so schwer?
Weil die vorhandenen Entscheidungsprozesse veraltet und sklerotisch sind. So absurd wie es klingt: es liegt nicht an den Menschen. Es liegt daran, wie sie Entscheidungen organisieren.
Meine Sicht, wie ein Entscheidungsprozess aussehen muss, kommt aus der Praxis. Ich habe nie geschafft, zur Business School zu gehen und einen MBA zu machen. Stattdessen habe ich fast 3 Dekaden als Berater und als Manager gearbeitet. In der Zeit habe ich gelernt, was funktioniert, Prinzipien entwickelt und die besten Tools gesammelt.
A fool with a tool is still a fool.
Ein Tool braucht nicht modern zu sein und muss sich nicht gut anfühlen. Es muss die richtigen Ergebnisse liefern. Dazu muss es richtig angewendet werden. Das gilt für jede Art von Werkzeug.
Zur richtigen Anwendung der Tools in diesem Artikel haben sich zwei Prinzipien und sieben Umsetzungsschritte bewährt. Sie sind der entscheidende Kontext. Sie machen aus einem Anfänger einen Profi. Leider werden sie oft vergessen. Und dann funktionieren die Tools nicht.
Die folgenden Prinzipien, Tools und Anwendungsschritte habe ich in Firmen mit zehntausenden Mitarbeitern getestet. Und in kleinen auch. Sie haben konstant zu erstaunlichen Ergebnissen geführt. Wenn sie diszipliniert und richtig angewendet werden.
Insgesamt brauchen die fünf Tools zwei Prinzipien und sieben Schritte zur Umsetzung.
Erstes Prinzip: Es gibt gutes Management. Und dummes Management.
Gutes Management verbinden wir reflexartig mit bekannten Namen. Reitzle, Zetsche, Marchionne… Die wussten, wie man es richtig macht. Charismatische Typen mit dem passenden Manager-Skillset.
Dabei waren sie nur zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.
Beim Aufzählen der Namen fällt auf: Zeiten haben sich geändert. Sie würden heute nicht mehr so erfolgreich sein.
Managementberater behaupten, es brauche den richtigen Managementstil. Partizipativ. Situativ. Agil. Inklusiv. Nachhaltig. Es gibt viele Label.
Aber auch ein bestimmter Managementstil garantiert den Erfolg nicht.
Denn Label führen zu „dummem Management“: Menschen imitieren „Managementstile“, ohne sich mit der vorhandenen Situation auseinanderzusetzen.
Dummes Management blockiert eine objektive Analyse der Situation, das Erkennen der zugrundeliegenden Ursachen für ein Problem, und verschwendet deswegen Ressourcen, anstatt sie sinnvoll einzusetzen und zu koordinieren. Der Erfolg bleibt aus. Das Team ist frustriert.
Das könnte eine Ursache für die aktuelle Situation in der Autoindustrie sein.
Silicon Valley- Legende Chamath Palihapitiya bringt es auf den Punkt:
„There is good management and there is stupid management… Instead of looking for some labels… if things aren’t working, break it down to the studs… Most people don’t have the courage to go through the glass-eating that is required to get on the other side of this process.”
Wenn das Managementteam gemeinsam die richtigen Themen erkennt und systematisch an ihnen arbeitet, wenn es das Unternehmen, das möglicherweise nicht funktioniert, auf seine Grundbausteine und Grundprinzipien zurückführt und von dort wieder aufbaut wird, dann führt das zum Funktionieren des Unternehmens. Und zu Erfolg.
Ein guter Manager kreiert einen Entscheidungsprozess, um sein Führungsteam zusammenzubringen, gemeinsame Strategien und Initiativen zu entwickeln und die Mechanismen des Zusammenspiels zu vereinbaren.
Die zwei Prinzipien, fünf Umsetzungsschritte und sieben Tools in diesem Artikel helfen, aktuelle Entscheidungsprozesse in Richtung „gutes Management“ zu überdenken und neu zu starten. „Dummes Management“ verwendet vielleicht auch die hier vorgestellten Tools, ohne die richtigen Prinzipien, ohne logische Disziplin und ohne auf den Kontext Rücksicht zu nehmen.
Zweites Prinzip: Entwickle eine operative, eine exekutive und eine Supervisionsebene.
Ein Manager kann nichts bewirken, wenn das Unternehmen nicht in drei Ebenen aufgeteilt werden kann.
Die erste Ebene ist die operative Mannschaftsebene: Die Mannschaft erledigt die eigentliche Wertschöpfung, die tatsächliche Arbeit.
Im Unternehmen liefern Teams die Produkte und Services, mit denen das Unternehmen Kunden versorgt, neue Kunden und Partner gewinnt, Umsätze verbucht und das Unternehmen weiterentwickelt. Ohne sie geht nichts voran.
Die Teams brauchen starke Player, klare Verantwortlichkeiten, Entscheidungsfreiheiten, ausreichende Ressourcen und Zugang zu notwendigen Informationen, um erfolgreich zu sein.
Die zweite Ebene ist die Exekutive. Sie ist verantwortlich für Koordination, Zielvorgaben, Budgets, Ressourcenbereitstellung, Lösung von Konflikten. Hier sitzen die Manager.
Die Exekutive braucht in erster Linie ein ausgezeichnetes Verständnis der Arbeit der operativen Teams.
In der Royal Navy, welche die Weltmeere jahrhundertelang beherrschte, war es Pflicht, dass Offiziere einige Jahre als Mannschaftsdienstgrade gedient haben mussten, bevor sie befördert wurden. Sie lernten zuerst, wie die operativen Teams funktionierten und geführt werden mussten, bevor sie selbst Führungsverantwortung bekamen. In operativen Rollen erwerben zukünftige Führungskräfte auch ein gutes Verständnis des Umfelds, des Marktes, des Wettbewerbs, dem Stand der Technik, der Leistungsfähigkeit vergleichbarer Unternehmen usw.
Das fehlt vielen Managern der Exekutive heute – sogenannte Kaminkarrieren folgen oft machtpolitischen Erwägungen und nicht den Regeln in einer Meritokratie.
Die wichtigste Aufgabe der Exekutive ist, Entscheidungsstrukturen so aufzubauen, dass sie stabil weiterarbeitet, selbst wenn wesentliche Player ausgetauscht werden.
Die dritte Ebene und in vielen Unternehmen übersehene und deswegen schlecht entwickelte oder nicht vorhandene Ebene ist die Supervisionsebene zur Steuerung des Managements.
Da die exekutive Managementebene sehr stark von persönlichen Präferenzen, Wahrnehmungstendenzen und machtpolitischen Entscheidungen geprägt wird, braucht es diese Instanz zur Überwachung und Korrektur von Managemententscheidungen. Diese Supervisions- oder Steuerkreisebene kontrolliert die exekutive Managementebene, beispielsweise wenn es um die Einhaltung von Prinzipien, des strategischen Plans und der vereinbarten Budgets geht. Sie berät aber auch und füllt Fähigkeits- bzw. Erfahrungslücken, die oft auf der exekutiven Ebene bestehen.
Fünf Schritte zur Einführung neuer Entscheidungsprozesse
Ein Neustart, eine Restrukturierung oder ein Transformationsprogramm beginnt damit, dass der CEO sich entschließt, sein Unternehmen auf die Grundprinzipien zurückzuführen und es neu zu organisieren.
So wird der Entscheidungsprozess zurückgesetzt und neu gestartet:
- Im ersten Schritt spricht CEO mit seinem Führungsteam und terminiert einen Workshop in zwei bis vier Wochen. D.h. der CEO schickt eine Einladung mit der Bitte, sich drei Tage an einem festgelegten Ort zu treffen, um den Neustart einzuleiten.
- Der Workshoperfolg ist proportional zur Workshopvorbereitung: In den folgenden Wochen werden Analysen durchgeführt. Das Wichtigste ist eine Finanzanalyse, welche die aktuelle Cash-Situation darstellt entsprechend eines aktualisierten Forecasts. Sollten grundlegende Entscheidungen anstehen (M&A, Schließungen, Investitionen, usw.), können verschiedene Szenarien entwickelt werden.
- Eine weitere Analyse ist die Aufnahme sämtlicher Initiativen im Unternehmen. Die meisten Unternehmen leiden unter einem Wildwuchs von Projekten, welche Ressourcen binden und die nicht mit den Unternehmenszielen gleichermaßen verbunden sind. Diese Initiativen-Review ermöglicht es, Initiativen zu bündeln, zu priorisieren oder zu stoppen. Meist werden hier bereits enorme Ressourcen freigesetzt, die wahlweise eingespart oder für Wachstumsthemen eingesetzt werden können.
- Weiter müssen Interviews mit den Führungskräften durchgeführt werden. Das dient analytischen Zwecken, aber auch der Erkennung und frühen Einbindung von Personen, welche Entscheidungen im Unternehmen bzw. maßgeblich beeinflussen.
- Mit den Ergebnissen der Analysen (Finanzplan, Initiativen, Stakeholder) wird der Workshop durchgeführt. Schwerpunkt des ersten Tages sind die Finanzen, eine Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit sowie die Ableitung von Prinzipien für das weitere Vorgehen. Am zweiten Tag werden Initiativen, die Teamgrößen sowie die zukünftige Organisation in den drei Ebenen besprochen und entschieden. Am dritten Tag befassen sich die Workshopteilnehmer mit der mittelfristigen Planung sowie der Vorbereitung eines Kommunikationsplans.
Nach diesen fünf Schritten folgen viele weitere. Diese fünf Schritte erzeugen jedoch die Initialzündung einer umfassenden Veränderung von Entscheidungsprozessen. Und damit ändert sich auch die Entwicklungsrichtung des gesamten Unternehmens.
Sieben Tools eines Entscheidungsprozesses.
Die sieben Tools werden in Schritt 2 bis 4 initialisiert und mit vorhandenen Daten befüllt. Sie dienen als Diskussionsgrundlage. Denn innerhalb des Workshops unter Schritt 5 werden die Tools mit einer Datenerstbefüllung den Führungskräften erklärt und mit ihnen diskutiert.
Ziel ist es, eine gemeinsame Sicht auf folgende Tools zu erlangen:
- Ein Finanzplan entsprechend eines aktuellen Forecasts mit projizierten Zu- und Abflüssen, sowie konkreten Zielen bezüglich Einnahmen und Verbindlichkeiten. Darin enthalten sind sämtliche Zuflüsse, alle Liquiditätsreserven und alle geplanten Investitionen.
- Eine Liste mit priorisierten Initiativen, um die finanziellen Ziele zu erreichen bzw. wichtige Voraussetzungen zu schaffen (wie Einführung eines ERP- oder CRM-Systems, Einführung digitalen Marketings usw.).
- Ein angepasster Plan der Personalressourcen (einschließlich aller interner und externer Mitarbeiter und Dienstleister, die relevant für das Geschäft sind) mit Abbau- und Aufbauzielen.
- Ein Meilensteinplan mit einfachen, leicht verständlichen Meilensteinen, welcher die Initiativen subsumiert und den Fortschritt misst, um den Finanzplan zu erreichen.
- Eine Programmstruktur mit Namen und klaren Verantwortlichkeiten auf den drei Ebenen. Alle Teams müssen benannt und befüllt sein. Und es muss sich auf Prinzipien verständigt werden, wie diese Teams zusammenarbeiten.
- In den Kalendern aller, die in der Programmstruktur aufgeführt sind, müssen Meetingeinladungen stehen, mit Standard-Agenden. Nur so kommt die Organisation effektiv zum Leben.
- Ein Change Management- und Kommunikationsplan. Diese sollen sicherstellen, dass alle Beteiligten die Ziele und die Vorhaben korrekt verstehen. Veränderungen lösen oftmals negative Reaktionen aus. Diese wiederum führen zur Behinderung in der Informationsverarbeitung und damit zu Widerständen und Verzögerungen. Gut getimte Informations-, Kommunikations- und Trainingsmaßnahmen helfen sowohl dem operativen Team als auch dem Managementteam, schneller durch diesen Anpassungsprozess zu kommen und die Ziele des Programms schneller zu erreichen.
Nochmals: Die Größe der Unternehmung ist bei diesen Tools unerheblich. Sicher ist die Kaskadierung in großen Unternehmen aufwändiger und dauert länger. Aber mit der vorgeschlagenen Struktur funktioniert sie.
Nur die vollständige und richtige Anwendung garantiert einen effektiven Entscheidungsprozess, welcher die Richtung einer Unternehmung ausrichtet und der „gutes Management“ ermöglicht.
Fazit: „Gutes Management“ kann jederzeit erreicht werden.
Viele Situationen sind für den CEO verfahren und komplex. Sich in einer solchen Situation zu befinden, kann viele Ursachen haben. Entscheidend ist der Wille des CEO, Klarheit herzustellen und den Entscheidungsprozess in seinem Unternehmen zu „rebooten“.
Ein ungetrübter Blick von Außen, gepaart mit dem Willen, das Unternehmen auf seine Grundprinzipien zurückzuführen, kann Fehlwahrnehmungen und Widerstände lösen und den Fokus auf Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit richten.
Denn der Übergang von dummem Management zu gutem Management bedeutet immer: „Eating glass.“ Um auf der anderen Seite des Prozesses gestärkt, fokussiert und bereit für neues Wachstum herauszukommen.