SALN #21 – “Für mir reicht’s noch”: Der 2nd Mountain.

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Jedem Manager in der Autoindustrie ist klar:

Die Autoindustrie wird in den kommenden Jahren schrumpfen.

Von den etwa 12 Millionen Arbeitsplätzen in der europäischen Autoindustrie (laut ACEA) werden sehr viele entfallen. Die Bevölkerung in Europa schrumpft. Die Absatzzahlen sind schon seit Jahren in Europa rückläufig. Elektroplattformen benötigen weniger Teile und weniger Zeit im Zusammenbau. Und die Konkurrenz in China gewinnt Marktanteile.

Schon in den kommenden Jahren gehen in der Autoindustrie die letzten “Boomer” (1946 – 1964) in Rente, und ihre Stellen werden nicht mehr besetzt.

Ein “sozialverträgliches Schrumpfen” auf Raten hat eingesetzt.

Frührente passt nicht in die Wissensökonomie.

“Sozialverträglicher Personalabbau durch Frührente” war ein Mechanismus in der Montanindustrie in den 80er Jahren. Arbeitsplätze wurden abgebaut und körperlich hart arbeitende Stahlarbeiter und Bergleute früher entlastet.

Dieses funktioniert nicht beim Umbau der Autoindustrie.

  • Die Bedürfnisse und Interessen heutiger Managergenerationen, die im Büro arbeiten und abgebaut werden, sind anders als die von Stahlarbeitern in den 1980ern.
  • Die Autoindustrie ist zu groß, um dieses Schrumpfen “wegzudrücken”. 12 Millionen Mitarbeiter entsprechen der Bevölkerung Belgiens, Griechenlands oder Schwedens. Entsprechend ist die Bedeutung der Autoindustrie für die Wirtschaftsleistung und den gesellschaftlichen Reichtum in Europa.
  • Mit jedem ausscheidenden Angestellten verliert die Gesellschaft Erfahrung, Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und damit Wertschöpfung und gesellschaftlichen Reichtum. Ob diese Wirtschaftsleistung kompensiert werden kann durch z.B. neue Mobilität, Automatisierung, KI oder anderen Innovationen, ist strittig.
  • Gen X (1965 – 1980) geht früh in den Ruhestand, teilweise mit 58, 57, 56 oder früher. Gleichzeitig sind sie bei zunehmender Lebenserwartung zu jung für einen Altersruhestand. Studien zur Lebenserwartung zeigen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen verbindlicher sozialer Einbindung und Lebenserwartung. “Wer rastet, der rostet”. Oder: wer sich zur Ruhe setzt, hat nicht lange zu leben.
  • Mit einer Lebenserwartung von 80+ Jahren und jährlich steigenden Lebenserwartung liegt ein Lebensabschnitt von 20+ Jahren vor ihnen, der nicht nur finanziert, sondern auch mit Sinn und sozialer Einbindung gefüllt werden muss. Die USA werden derzeit von einer Generation von Politikern geführt, die älter als 75 Jahre sind. Henry Kissinger reiste im Alter von über 100 Jahren zu außenpolitischen Gesprächen nach China. Wir sollten realistischerweise davon ausgehen, dass Manager noch +/-30 produktive Jahre vor sich haben, nachdem sie das Unternehmen verlassen haben.
  • So entsteht ein Lebensabschnitt, der finanziert und mit Sinn und sozialer Integration gefüllt werden muss. Studien zur Langlebigkeit, z.B. in Okinawa, zeigen einen deutlichen Zusammenhang zwischen verbindlicher sozialer Einbindung und Lebenserwartung. “Wer rastet, der rostet”. Oder: Wer in Rente geht, hat weniger zu leben.

Das Idee von Erwerbsarbeit mit anschließender passiver Rente sollte jeder für sich genau durchdenken und bewerten. Wer nicht mehr spielt, wird vom Spielfeld genommen. Die auf den Kopf gestellte Alterspyramide sagt uns: leisten kann sich die Gesellschaft nicht.

Frührente für gesunde 60jährigen Manager ist nicht nachhaltig.

Der Widerspruch zwischen entfallener Wirtschaftsleistung, erwartete Passivität des Rentnerdaseins, dem ungenutzten Leistungspotential der plötzlich Inaktiven könnte nicht größer sein.

Allerdings ist eine Verlängerung des Arbeitsvertrags auch keine Lösung.

Die Frage ist nicht mehr, ob “sozialverträgliches Schrumpfen” zum Problem wird, sondern wann.

Wir haben die Lunte von beiden Seiten angezündet.

Die Entscheidungen über Frührente werden von Unternehmen getroffen. Gesamtwirtschaftliche Kalkulationen, die öffentlich diskutiert werden, fehlen.

Und selbst wenn sämtliche wirtschaftliche Aspekte gelöst werden könnten, bleibt die Frage: Was macht diese Menschen mit enormen Leistungspotenzial plötzlich ohne Aufgaben?

Es hat Jahre und Jahrzehnte gebraucht, um Beruf und Karriere aufzubauen und in den Einklang mit Familie, Gesundheit, Finanzen und Lebensstil zu bringen.

Und von einem Tag auf den anderen fällt diese Struktur in sich zusammen.

Denn vorher war keine Zeit, eine parallele Struktur aufzubauen. In der Industrie wird gewöhnlich sehr viel gearbeitet. Zeit für “ Nebenerwerbstätigkeiten” haben die wenigsten, und wirtschaftlich ist es auch nicht erforderlich.

Dabei wäre es gut, wenn eine zweite Struktur neben der Erwerbstätigkeit bestünde.

Denn Menschen brauchen neben vielen anderen Dingen sinnvolle Arbeit. Wir brauchen die Herausforderung und die Bestätigung. Und wir brauchen die Zusammenarbeit und Anerkennung unserer Kollegen. Und wenn das wegfällt, ist das kein finanzielles Thema.

Es ist nicht richtig, alles auf eine Karte zu setzen.

Wann wird Gen X dieses Dilemma für sich selbst erkennen?

Sinnvolle Arbeit ist ein verkanntes Bedürfnis.

Weil sie mit angestellter Erwerbsarbeit verwechselt wird.

Ich weiß, wovon ich rede.

Ich habe 2019 eine einjährige Auszeit von meinem Angestelltenverhältnis bei Volkswagen genommen und bin mit meiner Familie auf Weltreise gegangen. Durch die Pandemie wurde aus einem Jahr schließlich zwei.

Im Lockdown in Mexiko erreichte mich eine Projektanfrage. In dem Projekt habe ich festgestellt, dass mir das Leben unter tropischer Sonne ohne Arbeit einfach zu wenig wäre.

Daraufhin habe ich 2021 mein erstes Startup gegründet.

2023 habe ich AutomotiveLearners gestartet.

Arbeiten bedeutet, Wert für andere zu schaffen. Und nicht, einen Arbeitsvertrag zu haben.

Das “Glück”, nicht arbeiten zu müssen, wird missverstanden.

Wenn eine langweilige, unbefriedigende Arbeit wegfällt, ist jeder froh. “Endlich in Rente, Du Glücklicher”. Dieses Glück tritt aber nur ein, wenn die Arbeit keinen Sinn gegeben hat.

Ich würde behaupten, dass das nur in Ausnahmefällen zutrifft.

Die meisten meiner Kollegen sind sehr gut, in dem was sie machen. Und sie machen es mit viel Leidenschaft. Natürlich ist es oft stressig und frustrierend. Aber es ist wie beim Fußballspielen: auch wenn man mal ein Spiel verliert, gibt man das Fussballspielen nicht gleich auf.

Ich beobachte immer wieder, dass sich Frührentner um neue Betätigungsfelder bemühen. Erstaunlicherweise sind das aber eher zeitweilige Experimente: Lange Reisen, neue Bauprojekte – Dinge, die lange aufgeschoben worden sind, werden nachgeholt.

Bleibt die Frage: Reicht das, um die kommenden 20-30 Jahre zu füllen?

Rechtzeitig Klarheit erreichen über den “Second Mountain”

Der erste Berg des Lebens besteht aus Ausbildung, Karriere und finanzieller Vorsorge. Irgendwann ist der erreicht: das Haus ist abbezahlt, die Kinder sind weggezogen.

Dahinter liegt ein Tal: der Renteneintritt.

Das sozialverträgliche Schrumpfen bringt uns nur schneller dorthin.

Und zur Frage: Was passiert, wenn der jetzige Job zu Ende geht?

Habe ich Klarheit über mich und meine Zukunft?

Unsere berufliche Identität hängt an einem Arbeitsvertrag, der über viele Jahre sicher ist.

Aber unser Arbeitsleben ist begrenzt und hat ein vorhersehbares Ende.

Derzeit stagniert die Branche und schrumpft. “Für mich reicht es noch”, ist allerorten zu hören.

Und dann, plötzlich, ist es vorbei.

In den meisten Fällen ist die finanzielle Sicherheit gegeben. Das heißt aber nicht, dass für den erheblichen Rest des Lebens alles erledigt ist. Und dass man nicht mehr gebraucht wird.

Auch die europäischen Gesellschaften können sich das nicht leisten.

Die Politik findet keine Antworten auf diesen Widerspruch, siehe Deutschland oder Frankreich.

Die Antwort kann nur individuell gefunden werden.

Um individuelle Antworten zu finden, habe ich ein Programm entwickelt.

Praktisch und nachvollziehbar.

In diesem Programm geht es darum, Klarheit darüber zu finden, wie wir uns unsere Zukunft vorstellen. Um die Balance zwischen beruflicher Wertschöpfung und allen anderen Lebensbereichen, wie Finanzen, Gesundheit, soziales Netz und Lebensstil.

Das Programm heißt “Skill to Skill”. Es richtet sich an Führungskräfte in der Automobilbranche und wird ab Juni 2024 verfügbar sein.

Der Vorruhestand ist nur für wenige gut.

Die sozialverträgliche Frühverrentung ist noch nicht zu Ende gedacht.

Wir können das aber gemeinsam zu Ende denken.

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