SANL #27 Kaufentscheidung Elektrofahrzeug

SALN #27 – Kaufentscheidung Elektrofahrzeug.

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Der Energieverbrauch beim Autofahren ist eines der wichtigsten gesellschaftlichen Themen seit Jahren in Deutschland. Das Thema ist schön komplex, es betrifft jeden und es nervt. Und jeder findet seinen eigenen Weg, damit umzugehen.

Zum Beispiel meinen Vater.

Mein Vater hatte etwa 2005 einen Golf V 2,0 TDI gebraucht gekauft.

Mein Vater ist alte Schule: Bei jedem Liter Treibstoff wird gefuchst, das Auto wird allerdings neu gekauft und bar bezahlt. Nur diesen Golf hatte er gebraucht mit etwa 100.000 km gekauft und bei 270.000 km in Zahlung gegeben. In der Zeit fuhr er mit einem Verbrauch zwischen 4,5 und 4,7 l auf 100 km. Diesel natürlich. Das bedeutete, rechtzeitig auskuppeln, Gang raus und rollen lassen, wenn am Horizont die Ampel auf Rot schaltete.

Irgendwann las er, dass Dieselmotoren auch mit Rapsöl oder Leinöl führen.

Und so ging er zu Aldi, wo es den Liter Rapsöl für 69 Cent gab. Bei einer Leinölraffinerie in der Nähe von Güstrow, Mecklenburg, konnte man direkt tanken. Der Verbrauch war der gleiche, wie mit Diesel. Was genau die Auswirkungen auf den Motor waren, bleibt für immer unbekannt. Hinter dem Auto roch es irgendwie immer nach Frittenbude.

Aber er fuhr 2005 für etwa 3,50 € 100 km weit. Inflationsbereinigt sind das heute 4,81 €.

Für eine Fahrt in einem fabrikneuen Elektroauto auf der Landstrecke habe ich letzte Woche 11,70 € für 100 km bezahlt. Die höhere energetische Effizienz des Elektroautos hat sich nicht in meinen Kosten gezeigt. Im Gegenteil, das EV von 2023 war 2,4-mal teurer im Verbrauch als der alte Dieselgolf meines Vaters.

Alle sagen, EV sind günstig beim Fahren. Aber irgendetwas habe ich falsch gemacht.

Ein Elektrofahrzeug ist heute noch nicht vergleichbar mit einem Verbrenner.

Ich wollte es wissen.

Aus nichts lernt man besser als aus eigener Erfahrung. Aber ich bin nicht blauäugig in den Test gestartet. Ich hatte mich belesen, einige Videos angeschaut und habe Experten befragt.

Am Wochenende zuvor war ich mit vier Freunden aus der Autoindustrie unterwegs.

Alle Techniker und Entwickler, und alle haben Erfahrungen mit EV zwischen 20.000 und 100.000 km, sowohl im Berufspendlerverkehr als auch auf der Langstrecke, unter anderem von Deutschland nach Spanien.

Das ist geballte Kompetenz, die mich beraten hat zu meiner ersten Langstreckenreise in einem EV.

Laden sei keinerlei Problem heute in Deutschland. Obwohl Deutschland zwar die meisten Ladesäulen hat, ist es auf Grund seiner Fläche bei der Ladesäulendichte eher im Mittelfeld. Lade Dir Apps runter und plane Deine Route, und dann geht das reibungslos.

Im Gegenzug hatte ich versprochen, von meinen Erfahrungen zu berichten.

Und hier ist der Bericht.

Happyness Langstrecke = Reichweite x Ladegeschwindigkeit

Die Route ging von Stuttgart Zentrum nach Berlin Alexanderplatz. Statt des bestellten BYD Atto 3 wurde mir ein Cupra Born mit 56 kWh gestellt.

Irgendwann war der Akkustand bei 13 %.

Ich biege ab zu einer Ladesäule auf einer Tankstelle. Dort steht ein zweiter Cupra Born.

Der andere Cupra wird von einem jungen Paar gefahren. Sie vertreiben sich die Wartezeit beim Laden mit Essen und Handy. Ich frage sie, warum sie Elektro fahren. “Mein Arbeitgeber schreibt das so vor. Entweder EV oder Hybrid. „Da habe ich mich für den Born entschieden,“ sagt Thomas. Er kommt aus Peine bei Hannover. „Die Wartezeiten sind etwas lang,“ meint seine Freundin. “Mit einem Tesla, der 500 km Reichweite hat und den man mit 150 kWh laden kann, ist das schon etwas anders.“

Dieser Stopp wird die beste Ladeerfahrung auf der ganzen Reise sein.

Es handelt sich um einen 150-kWh-Charger.

Ich zücke meine Ladekarte und sie wird abgelehnt. An der Ladesäule steht: “Sie können auch an der Theke zahlen.” Also mache ich mich auf den Weg in die Tankstelle. Vorher hatte ich den Lader gesteckt – ich Anfänger. Nachdem ich dreimal zwischen dem Auto und der Theke hin und her gelaufen bin – selbstverständlich sind die Ladesäulen am äußersten Ende der Tankstelle aufgebaut – lädt das Auto. In der Wartezeit trinke ich einen Kaffee und schreibe diesen Text.

Nach 30 Minuten habe ich genügend geladen, um bis kurz vor Berlin zu kommen. Dort muss ich die nächste Ladesäule finden.

Ich habe vier Apps (Shell Recharge, Pump, ARBP, Nextcharge) auf dem Handy und das Auto zeigt auch Ladesäulen an. Meistens wird auch angezeigt, ob die Säule frei ist. Einige Apps zeigen auch den Preis für das Laden an.

Ladesäulen-Safari

Derzeit gibt es so viele unterschiedliche Ladesäulen wie Tiere im Zoo.

Die sind leider oft auch so gut versteckt.

Ladesäulen sind im Gegensatz zu Tankstellen nicht mit großflächiger Werbung markiert. Häufig liegen sie am Grundstücksrand, hinter Gebäuden von Handelsbetrieben oder Supermärkten.

Das Auffinden ist auf meiner Strecke ein echtes Problem.

Im Schnitt verbringe ich etwa 30 Minuten allein mit dem Suchen. Mich erinnert das an eine Schnitzeljagd, mit kleinen Hinweisen, die überall verstreut sind: kleine Hinweisschilder, markierte Parkflächen, unterschiedliche Einfahrten zu den Grundstücken und die vier verschiedenen Apps. Aber ich finde sie, auch wenn teilweise Satellitenbilder in Google Maps zu Rate ziehe.

Der “cognitive load” in einer fremden Gegend ist immens.

Ich fahre auf der Raststätte Michendorf ab, um zu laden, kann aber die Säulen nicht finden.

Für den gewieften Pendler, der immer wieder die gleichen Säulen nutzt, ist das natürlich kein Problem. Für den Langstrecken-EV-Touristen raubt diese Jagd jedes Fahrvergnügen.

Als ich dann von der Autobahn abgefahren bin und vor einer Säule stehe, kann ich nicht zahlen.

Das ist anders als bei einer Tankstelle, wo ich mit verschiedenen Karten und Bargeld bezahlen kann. Wahrscheinlich nehmen die sogar Checks. An dieser Säule werde ich nach einem RFID des lokalen Energieunternehmens gefragt.

Beim nächsten Lader mit 6 × 150 kWh auf der Nuthe-Schnellstraße bei Potsdam funktionieren vier Säulen nicht. Murphy reist offenbar mit. Somit muss ich das Auto auch zweimal umparken und den Ladevorgang dreimal starten, um endlich mit 106 kW zu laden. Mehr kann der Cupra Born leider nicht.

In diesem Augenblick wird mir klar, dass das Tesla-Paket aus dem Auto und den Ladern besteht und nur deswegen echte Fans bei den Kunden erzeugt. Es ist nicht das Auto. Schnelladen, standardisierte Ladesäulen, einfaches Bezahlen sind genauso wichtig. Irgendwann war der Strom für Teslafahrer sogar mal umsonst.

Zum Ärger kommt der Verdruss.

Diese Einsicht hilft mir jetzt nicht weiter.

Für die Fahrstrecke brauche ich die doppelte Zeit im Vergleich zum Verbrenner. Für das Suchen der Ladesäule, an der ich einen Ladevorgang starten kann, plus die Wartezeit für das Laden verbummele ich 5,5 Stunden.

Durch die verlorene Zeit bin ich schon über dem Termin zur Rückgabe des Mietwagens.

Eine Anpassung des Vertrags online lässt den Mietpreis auf 289 € für 26 h schießen.

Ich könnte weinen.

Letztens habe ich 225€ für einen BMW Z4 von Freitag bis Montag (72h) gezahlt und bin 1.500 km gefahren. Von Berlin an die Ostsee bis nach München, teilweise mit offenem Dach. Ich schalte die Seite schnell wieder aus.

Jetzt bin ich gestresst.

An der letzten Ladestation vor der Rückgabe rechne ich meine Stromkosten aus.

Ich verbrauche 18 kWh auf 100 km bei einer Autobahngeschwindigkeit von 120 Stundenkilometern. Bei einem kW-Preis am Schnellader von etwa 65 Cent sind das 11,70 €. In der Spitze zahle ich 74 Cents. Wahrscheinlich könnte ich das mit einem Abo reduzieren.

Privat fahre ich einen Golf 2.0 TDI, Baujahr 2014, verbrauche ich etwa 5,5l bei 140 Stundenkilometern. Macht bei einem Dieselpreis von 1,86 €. Rapsöl gibt es nicht und das Auto verträgt das auch nicht. Das macht 10,23 € für 100 km. Give-or-take the same.

Auch bei diesem Vergleich kommt das EV nicht besser weg auf der Langstrecke.

Und trotzdem würde ich mir ein EV kaufen.

Lasst uns ehrlich sein: Ein EV ist ein anderes Auto als ein Verbrenner. Es ist anders zu benutzen.

Für die Langstrecke gibt es für mich bisher keine Alternative zum Verbrenner. Der Verbrenner ist nicht nur günstiger, er ist auch einfacher zu fahren. Überall kann ich mit wenig Aufwand meine Reichweite in wenigen Minuten ergänzen. Ich brauche nicht umständlich meine Ladestopps zu planen, denn jede Tankstelle nimmt mein Geld und in 5 Minuten habe ich ausreichend Treibstoff für 800 km geladen.

Das können neue Mittelklasse-EVs auch. Aber die haben auch einen entsprechenden Preispunkt.

Man kann mit einem EV auf die Langstrecke gehen. Das ist heute möglich, wenn man die Strecke gut kennt einschließlich der Ladepunkte. Allerdings ist es wenig sinnvoll, wenn man die einfachste und bequemste Form des Autofahrens haben möchte.

Auch in der Stadt erzeugt ein EV einiges an Kopfzerbrechen.

Denn in einer Stadt kann man sein EV selten an der eigenen Steckdose laden. In Berlin kommen auf eine öffentliche Ladesäule zwölf reine EV, mit einer sich verschlechternden Tendenz. Und die Charging-Points werden noch einige Jahre zu wenig sein. Schon heute entbrennt jeden Abend ein Rennen, wer zuerst an der Ladesäule in der eigenen Straße ankommt, und sie nutzen kann.

Entsprechend sinkt die Zufriedenheit mit EV. Nur etwa 18% der EV-Nutzer würden ihr Fahrzeug Freunden oder Kollegen zum Kauf empfehlen.

Es gibt aber den idealen Anwendungsfall: Der Pendler im Eigenheim.

In 67 % aller Erwerbstätigen pendeln mit dem Auto.

Die meisten davon wohnen in Siedlungen und Städten der Ballungszentren, oft im Eigenheim. Mit einer Solaranlage auf dem Dach kann der eigenproduzierte Strom für den Verkehr genutzt werden.

Hier ist ein EV ideal.

Und genauso wohne ich mit meiner Familie.

Die meisten Strecken fahren wir ins Büro, zur Schule und zu Sportveranstaltungen. Das meiste ist Autobahn oder Schnellstraße. Am Tag kommen so etwa 50 km zusammen.

Mein ideales EV:

  • wäre ungefähr so groß wie ein Golf.
  • hat eine Reichweite von etwa 500 km. Die große Reichweite sollte das Auto haben, damit die Batterie entsprechend groß ist (Schnelladen, weniger Zyklen) und ich auch fünf Tage bei 80% Anfangsladung ohne Nachladen fahren kann.
  • kann Schnelladen (c-Faktor 2 und besser). Derzeit sprießen die Schnellader aus dem Boden.
  • kann ich zuhause von Solarpanelen laden.
  • kann bi-direktional laden, sodass ich die Batterie auch als Speicher in der Nacht verwenden kann.
  • kostet um die 25.000 € als Gebrauchtwagen mit etwa 100.000 km Laufleistung und einer zertifizierten Restkapazität (SoH) von 96% oder mehr.

Beim nächsten Autowechsel werde ich den Umstieg angehen. Beim bidirektionalen Laden muss ich wahrscheinlich Kompromisse machen. Wenn ich den Preispunkt treffe, werden wir elektrisch pendeln.

Dazu müssen EV anders vermarktet und bepreist werden als Verbrenner. Daran werden wir in der AutomotiveLearners Pricing Academy arbeiten. Dazu später mehr.

Bleibt die Frage, wie wir die Langstrecke bewältigen.

Mit dem EV werde ich in den nächsten fünf bis sieben Jahren wahrscheinlich nicht auf die Langstrecke gehen. Die Technik und die Infrastruktur ist noch nicht so weit. Wenn man 10 km fährt, dann möchte man nicht zwei bis fünf Stunden zusätzlich für das Laden verwenden.

Ich bin gespannt auf die Durchbrüche bei der Technologie, der Infrastruktur, den Angeboten und Preisen für diese neue Technologie.

 

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