SALN #44 – Pit Philipp Klöckner: Kann KI in Deutschland den rettenden Produktivitätsschub geben?

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Der große KI-Hype Check
Der große KI-Hype Check

Bei der diesjährigen Vollversammlung deutscher Influencer (Digitalmesse OMR mit 70.000 Besuchern) hielt Pit Philipp Klöckner die Keynote zum Thema schlechthin: Künstliche Intelligenz. Auf 150 Seiten PowerPoint formulierte er, was der Talk in Deutschland zum Thema ist.

Was für eine hervorragende Präsentation. Es lohnt sich, diese von Anfang bis Ende anzuschauen. Danke @Ole Harms, für die Empfehlung.)

Pit fragte:

Hat KI einen „Moat“?

Das Konzept stammt auf der Analyse von Unternehmen. Wie stark ihr Wettbewerbsvorteil ist. Gartner spricht von “Peak AI” und erwartet ein Abkühlen des Hypes. In diesem Kontext lautet die implizite Frage: Ist KI ein Hype oder bleibt KI.

Die Antwort ist: Na klar. Es ist beides.

Wir wissen, dass es noch 15 Jahre, bis KI wirklich in allen Lebensbelangen eingezogen ist. (Warum müssen wir wie kleine Kinder vor Weihnachten immer alles gleich haben? Auch die nachfolgenden Generationen werden den Durchbruch schaffen, vielleicht sogar besser, sicherer, nachhaltiger als die heute lebenden Generationen.)

Für uns Erwachsene ist diese Frage spannender:

Wie gut ist Deutschland aufgestellt für KI? Wird Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit profitieren? Und damit die Autoindustrie?

Diese Antwort ist viel spannender.

Hier ist die Zusammenfassung:

Brainpower: Haben wir genügend Entwickler? Antwort: ++/0

Haben wir Trainingsdaten? Antwort: –

Haben wir Chips? Antwort: –

Haben wir Wasser zum Kühlen?  Antwort: ?

Haben wir genügend Energie? Antwort: —

Produzieren wir Qualität in KI? Antwort: (+)

Bleiben wir unabhängig? Antwort: –

Kurz gefasst: Unter heutigen Bedingungen hat Deutschland keinerlei Wettbewerbsvorteil, obwohl wir die technischen Kompetenzen haben. Wenn sich alle fokussieren, und gemeinsam die Voraussetzungen schaffen, dann kann das noch etwas werden.

Mit dem Wettbewerbsvorteil.

Mit der Autoindustrie.

Die nächsten Jahre sind entscheidend.

Deutschland hat Brainpower

Pit zitiert eine Studie (Stanford Developer Index), nach der Deutschland Nr. 3 weltweit bei der Güte von KI-Entwicklern ist. Ich konnte das zwar nicht verifizieren, es erscheint mir allerdings plausibel. Nach wie vor bringt unsere Ausbildungsinfrastruktur ausreichend technisch ausgebildete Ingenieure hervor.

Allerdings ist die Frage, ob Deutschland attraktive Rahmenbedingungen für Entwickler schafft: Pawel Durow, CEO von Telegram, einem Messengerdienst mit fast 1 Milliarde Benutzern weltweit, versuchte sein Unternehmen zunächst in Berlin anzusiedeln. Er hatte in Russland das „russische Facebook“ VK gegründet und hatte aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit den lokalen Behörden zum Thema Datenschutz seine Firma verkauft und das Land verlassen.

Erster Anlaufpunkt war: Berlin. Er wollte Telegram in Berlin ansiedeln. Für viele Russen und Russischsprachige ist Berlin ein nahe Drehscheibe in den Westen. Doch als er sein Team russischer Programmierer ansiedeln wollte, wurde mit dem Verweis auf geltendes Recht aufgefordert, alle seine Stellen für sechs Monate auszuschreiben. Nur wenn er nach Ablauf dieser Frist diese Stellen nicht besetzt hätte, könne er sein Team nachziehen.

Er hat viele Standorte probiert: London, Singapur, Silicon Valley.

Heute sind Pawel Durow, Telegram und das Team der Programmierer in Dubai angesiedelt.

Brainpower kann Deutschland produzieren. Wir haben gute Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Beim Ansiedeln und Halten von Top-Talenten hat Deutschland klar einen strukturellen Nachteil.

Es gibt nicht genügend Daten.

Bei zunehmender Anzahl von Large Language Models (LLM) kommt es irgendwann zu einem Paradox: Die LLM erzeugten Daten übersteigen die ursprünglich vorhandenen Daten.

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass immer weniger „natürliche“ Daten zum Training der LLM zur Verfügung stehen. Das eine Modell erfindet Fakten, welche das andere weiterverarbeitet, salopp gesagt.

Deutschland hat in Bezug auf Daten Limitierungen.

Denn Europa hat die schärfsten Datenschutzbestimmungen.

Die Logik ist: Die Selbstbestimmtheit jeder Person darf nicht eingeschränkt werden. Doch die meisten Daten entstehen im Ergebnis menschlichen Verhaltens, zum Beispiel wenn wir im Alltag arbeiten, einkaufen, bezahlen, uns bewegen oder ein Video schauen und im Internet surfen. All diese Daten dürfen nur mit Einwilligung der jeweiligen Person verwendet werden.

Das ist Gesetz. Und das ist auch richtig so.

Hinzu kommt das Urheberrecht.

Und seit ein paar Tagen der EU AI Act.

Allerdings schränkt dieses die für das Training verfügbaren Daten ein.

Denken wir an Wettbewerber wie USA, China, Indien, Russland usw. dann wissen wir, dass es dort andere kulturelle Hintergründe und Rechtssysteme gibt. Und viel mehr Daten unkritisch für das Training und die Entwicklung von LLM

Ein klarer, unveränderbarer Nachteil für Deutschland beim Training von LLM.

Kontrolle über Mikrochips

Deutschland ist generell schwach in der Produktion von Mikrochips.

Das ist keine Neuigkeit. Die Bundesregierung steuert gerade mit umstrittenen Subventionen für den Aufbau von Chipfabriken gegen.

Doch das Errichten einer autarken Supply Chain dauert. Der Bau einer großen Chipfabrik kann 5 bis 7 Jahre dauern. Nicht jeder produzierte Chip kann für KI-Anwendungen verwendet werden.

Dieses wird mittelfristig weder Deutschland noch seine europäischen Partner in die Lage versetzen, Mikrochips in einer ausreichenden Menge für das erwartete Wachstum in benötigter Rechenleistung herzustellen.

Europa verfügt über kritische Technologien in der globalen Chip-Supply Chain, wird aber ebenso von Lieferungen vor allem aus USA und Taiwan abhängig bleiben.

 

Wie groß ist der Einfluss deutscher Entwickler auf das Chipdesign? Kann Deutschland Leistungsvorteile in der künstlichen Intelligenz durch speziell designte Trainings- oder Interferenzchips erreichen? Oder müssen wir damit vorliebnehmen, was andere entwickelt haben?

Dies erscheint ein klarer Nachteil für Deutschland, der sich auch in den kommenden 10 bis 15 Jahren nicht entscheidend verändern dürfte.

Nicht genügend Wasser

Für die Kühlung der Rechenzentren wird Wasser benötigt. Kein Wasser, keine Rechenzentren, keine künstliche Intelligenz.

Pit spricht vom „Wasserverbrauch“: Man stelle sich vor, am Zufluss zu einem Rechenzentrum hängt eine Wasseruhr, die misst, wieviel Wasser für die Kühlung entnommen wird. Und es gäbe nicht genügend Wasser, um Rechenzentren zu versorgen.

Allerdings ist das Wort „Wasserverbrauch“, wie Pit ihn verwendet, irreführend.

Zum einen werden Chips durch ein Kühlmittel ähnlich wie im Tiefkühler oder der Klimaanlage gekühlt.

Zum Anderen wird Wasser nicht verbraucht. Die Menge von Wasser ist im System „Planet Erde“ konstant. Wasser kann nicht “verbraucht” werden, so wie wir Benzin oder Diesel beim Autofahren verbrauchen. Denn es reagiert nicht und es verschwindet nicht.

Es kann verschmutzt sein oder am falschen Ort sein.

Aber es kann nicht vom Planeten „verschwinden“.

Demzufolge weist „Wasserverbrauch“ auf ein Transport- oder Aufbereitungsproblem hin. Das Problem kann an bestimmten besiedelten Orten sein, dass nicht genügend Wasser für die Versorgung der Bevölkerung bei gleichzeitigem Kühlungsbedarf eines Rechenzentrums sein.

An jedem Ort der Erde kann genügend Wasser bereitgestellt werden, wenn es entweder dorthin transportiert wird. Oder durch, z.B. Umkehrosmose aufbereitet wird. Beides braucht viel Energie.

Die vereinfachte Formel für Wasserknappheit ist: Wasser = Energie.

Beispielsweise werden in Spanien aufgrund der Trockenheit der letzten 2 Jahre in der Nähe von Barcelona zwei Meerwasserentsalzungsanlagen gebaut, angetrieben von Solarkraftwerken. Bis diese in Betrieb gehen, wird Wasser aus dem 100 km entfernten Ebro-Delta mit Schiffen herangebracht.

In Deutschland ist der Betrieb großer Anlagen mit hohem Wasserverbrauch (Kraftwerke, Chemieanlagen usw.) in den letzten Jahrzehnten, abgesehen von Dürreperioden, kein Problem gewesen. Außerdem verfügen wir in Deutschland über die Technologie,

Infrastruktur und Betriebserfahrung zu industrieller Aufbereitung und Transport von Wasser.

Im Vergleich zu anderen Regionen der Welt hat Deutschland hier einen klaren strukturellen Vorteil.

Obwohl es „Wasserverbrauch“ nicht wirklich gibt. Also gibt es hier auch keinen Wettbewerbsvorteil.

Energie

Der Bedarf von Rechenkapazität wird in den kommenden Dekaden mit der Ausbreitung künstlicher Intelligenz in alle Industrien und Lebensbereiche exponentiell steigen. Ebenso steigt der Bedarf an elektrischer Energie.

Ein ChatGPT-Prompt verbraucht etwa zehnmal so viel Energie wie eine Googlesuche, Tendenz steigend.

Pit gibt das Wachstum des Strombedarfs durch KI bis 2030 mit +10% weltweit an. Es ist aber viel mehr und komplizierter:

  • Die Vorhersage für die USA ist, dass der Energiebedarf für KI um DAS VIERFACHE bis 2030 steigt (siehe Grafik). Den Weltbedarf zu betrachten ist nicht sonderlich aussagekräftig.
  • Zusätzlich entstehen lokale Konzentrationen von Rechenzentren an geografisch günstigen Plätzen: ein Ort, der genügend Wasser und Kühlung verspricht, kann bisher wenig Erzeugungsinfrastruktur verfügen.
  • Es ist davon auszugehen, dass Rechenzentren, die durchaus einen Strombedarf von 1 GW haben, Neubauprojekte erfordern oder sich an geplanten Neubauten ansiedeln.
  • Intermittierende Erzeugungsarten wie Solar oder Wind sind für Rechenzentren ungeeignet. Last- oder Frequenzschwankungen führen zur Schädigung der Rechenzentren. Dementsprechend brauchen Rechenzentren ihre eigene, kostengünstige Energieversorgung.
  • Dazu braucht es Grundlastkraftwerke, angetrieben durch Wasserkraft, durch Kernkraft oder durch günstige fossile Brennstoffe, die dann durch CO2-Zertifikate kompensiert werden. Speichertechnologien sind nur sporadisch vorhanden und verteuern den Strom zusätzlich.

Sowohl Sam Altman als auch Bill Gates, zwei Ikonen im KI-Business, treten als private Investoren in Kernfusions-Startups bzw. Small Modular Reactor (SMR). Sie scheinen, eine sich anbahnende weltweite Energieknappheit, vor allem in den Industrienationen, als Problem erkannt zu haben.

Deutschland hingegen mit der schleppenden Energiewende und ihren vielen unbeantworteten technischen, verwaltungstechnischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen und den hohen Energiegestehungskosten scheint derzeit sehr schlecht auf diesen zusätzlichen Bedarf an Grundlast vorbereitet zu sein.

Beim Thema “Energie für KI” besteht die größte Chance und der bei weitem größte Handlungsbedarf in Deutschland.

Wenn wir bei KI mitspielen wollen, braucht es günstigen Strom im Überfluss. Deutschland war zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts führend in der Herstellung von Energieinfrastruktur: AEG, KWU und Siemens waren einst die Lieferanten der Welt in Sachen Strom, Kraftwerke und Netze.

Heute sind die Lieferanten der Energiewende in Deutschland, welche Solarzellen und Windkraftwerke herstellen, aus China.

Zuverlässigkeit

Pit gibt an, dass der medizinische KI-Assistent medGemini eine Genauigkeit bei den Diagnosen von Patienten von 91% erreicht. Ärzte würden eine Genauigkeit von 89% erreichen.

Das reicht nicht aus.

Während Ärzte nie eine Genauigkeit von mehr als 90% erreichen können, sind Maschinen im Medizinischen mit einer Genauigkeit von weniger als 99,9% inakzeptabel. Denn der Mensch hat “gesunden Menschenverstand” – und kann in Sekundenbruchteilen gute Entscheidungen treffen. Und jeder Mensch macht Fehler.

Das ist kein „Bug“: Fehler machen macht uns menschlich. Eine Maschine, die Fehler macht, muss außer Betrieb genommen werden.

Jedenfalls würde ich immer dem Arzt den Vorzug geben, wenn es um meine Gesundheit geht.

Das eigentliche Problem heutiger LLMs ist, dass sie noch keinen „Wahrheitsvektor“ angeben. Neben der Ausgabe aus einem Prompt fehlt die Angabe, inwieweit die Aussage „abgedriftet“ ist. Denn entlang der kausalen Ketten (den Vektoren), welche eine KI abarbeitet, kommt es zu geringfügigen Abweichungen: der Logikpfad stimmt, nur ist das Ergebnis nicht ganz korrekt.

Ich stelle mir das vor wie ein Schiff, das über den Ozean fährt. Die zurückgelegte Strecke wird als Kurs und Strecke in die Karte eingetragen. Das nennt man “koppeln”. Was ich aber nicht berücksichtige, sind zum Beispiel Winddrift oder Meeresströmungen, die das Schiff vom gekoppelten Kurs abbringen. Mit Koppeln komme ich über den Ozean, vielleicht aber nicht im geplanten “richtigen” Hafen an.

Ähnlich funktioniert das bei der KI. Auch hier gibt es “Drift”.

Bei der KI führt das zur „Halluzination“.

Logische, aber falsche Ergebnisse werden ausgegeben.

Deswegen brauchen wir ein Maß, wie wahrscheinlich eine falsche, halluzinierte Aussage der KI ist.

Ich wünsche mir, dass in Deutschland eine Technologie und eine gesetzliche Vorgabe zur Genauigkeit von KI entwickelt werden. Und natürlich können die Probleme zum Persönlichkeits- und Urheberschutz gelöst werden.

Damit wäre die KI für weitaus mehr Anwendungsbereiche nutzbar, zum Beispiel Medizin, Wissenschaft, Rechtswesen, Produktion oder Verwaltung.

Das könnte ein Standortvorteil für Deutschland sein: „Made in Germany“.

Denn wir können das.

Und die Welt würde uns das abkaufen.

Wem denn sonst?

Unabhängigkeit

Meta hatte zuerst seinen Namen geändert, um das „Metaverse“ aufzubauen. Das ist technisch offensichtlich noch nicht möglich. Jetzt hat Meta eines der besten LLMs veröffentlicht und kostenlos zur Verfügung gestellt (in Deutschland noch nicht verfügbar).

Damit werden die wirtschaftlichen Modelle anderer Wettbewerber, wie ChatGPT, Google usw. stark unter Druck gesetzt. Denn wer kann noch 20 USD/Monat in Rechnung stellen, wenn die gleiche Leistung um die Ecke kostenlos ist?

Aber auch für deutsche Anbieter, wie ALEPH ALPHA, ist die Konkurrenz erdrückend. Die Übermacht der US-Techkonzerne ist erdrückend. Sie sind sehr in die deutschen und europäischen Märkte integriert. Die Wettbewerbsaufsicht scheint zu schwach angesichts der erdrückenden technischen und wirtschaftlichen Übermacht der amerikanischen Technologiekonzerne.

Es scheint im Mai 2024 unmöglich, dass sich ein deutsches Techunternehmen in der internationalen KI-Industrie etabliert, ohne dass sich die EU-Wettbewerbsbehörde emanzipiert, durchsetzt und Raum für echten Wettbewerb schafft.

Was Deutschland tun sollte:

Die Lage für KI in Deutschland ist nicht gut, aber sie ist nicht aussichtslos.

Unser wichtigstes Asset sind die Menschen, die Bildungsinfrastruktur und unsere Kultur. Wir können Dinge. Wir können auch KI.

Aber wir brauchen Energie. Unendliche, billige Energie. Energie aus Solar und Wind reicht leider nicht aus. Diesen Fakt müssen wir anerkennen und dann reagieren.

Auch können wir uns in einer multipolareren Welt die Wettbewerbsfähigkeit nicht allein mit Gesetzen bauen. Die Größe und Macht der EU reichen nicht aus, den Markt zu regulieren.

Der Wettbewerb ist stark und befindet sich außerhalb von Deutschland und der EU. Hier gibt es keine Freunde, sondern bestenfalls Partner mit ähnlichen Interessen. KI ist zu wichtig, als dass wir uns in dieser Technologie langfristig abhängig machen.

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