SALN #34 – Dr. Danilo Zatta: Automotive Pricing.

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Europäische Hersteller sind aktuell etwa drei- bis zehnmal höher verschuldet als noch vor einer Dekade. In der Folge haben fast alle Hersteller Programme zur Ergebnisverbesserung aufgelegt. Es bleibt abzuwarten, ob die Hersteller und Zulieferer aus eigener Kraft und eigenem Cashflow die Verschuldung wieder auf ein nachhaltiges Niveau zurückfahren können.

Preise sind ein Hebel zur Ergebnisverbesserung. Aus diesem Grund spreche ich heute mit dem Pricing-Experten Dr. Danilo Zatta. Danilo hat in 2022 und 2024 zwei internationale Bestseller zum Thema Pricing veröffentlicht, in denen er seine Erfahrungen aus 25 Jahren Pricing zusammenfasst. Die Financial Times hat Dr. Zatta als ‚one of the world’s leading pricing minds’ bezeichnet.

Mit den „Preiskriegen“ in China und der „Bodenbildung bei den EV-Preisen“ in Deutschland und Europa ist Pricing ein Trendthema, auch für Automotive.

Dr. Danilo Zatta, Pricing Experte und Bestseller-Autor

Danilo, Du hast Deine Karriere bei einer italienisch-leidenschaftlichen Premiummarke begonnen.

Dr. Danilo Zatta: Ja, ich bin ja jahrelang bei Maserati gewesen. Da habe ich angefangen, die neuen Fahrzeuge zu bepreisen, wie zum Beispiel den neuen Quattroporte oder den neuen GT. Das war supercool. Wir sind in Santa Monica, in New York und überall auf der Welt gewesen, um die Fahrzeuge in Car Clinics zu analysieren: Was sind eigentlich die Erfolgsfaktoren, was sind die Kaufentscheidungskriterien? Die Clinics umfassten einen qualitativen und einen quantitativen Teil. Das Fahrzeug wurde gezeigt mit neuem Design, aber ohne Logo, dann mit Logo. Einfach um zu verstehen, wie wirkt es ohne Logo und mit Logo.

Das bringt mich zur Einstiegsfrage: Was ist Dein Traumauto?

Dr. Danilo Zatta: Da gibt es diesen Spyder A6 aus den 60er Jahren, gezeichnet von Zagato. Der wurde auch in kleinen Stückzahlen hergestellt, hat ein cooles Design, kommt aus Modena, ist heute Millionen von Euro wert. Man spricht vom italienischen Garagengold mit Dreizack. Ich habe miterlebt, wie alles hergestellt wird, und wenn ich zur Mensa ging, sind Testfahrzeuge vorbeigefahren mit einer richtigen Power. Da verliebt man sich dann mit der Zeit in die Marke Maserati.

Maserati A6G54 (1956)

Du hast in verschiedenen Industrien zum Thema Pricing gearbeitet. Wie stark ist die Autoindustrie?

Dr. Danilo Zatta: Die Pricing Maturity in der Automobilindustrie ist relativ hoch. Nicht so hoch wie in der Pharmaindustrie, aber vielleicht höher als in anderen Industrien.

Aber natürlich ist es dann immer von Hersteller zu Hersteller sehr unterschiedlich. Führende Hersteller betrachten, wenn sie neue Fahrzeuge entwickeln, nicht nur das Target Costing, sondern auch das Target Pricing.

Wo wird mein Fahrzeug positioniert werden? Was ist die Zahlungsbereitschaft, und was heißt das dann auch für die Gestaltung des Fahrzeuges, damit dann die Kosten und der Preis in Line sind mit dem, was die Kunden dafür auch ausgeben wollen. Da investieren Hersteller in Car Clinics, um zu verstehen, was ein Fahrzeug wert ist, welches Volumen lässt sich erreichen und ist es zu preisen.

Und seit neuestem: Wie kann man eigentlich neue Daten monetarisieren, neue Dienstleistungen pushen, Softwarelösungen einführen. Und hier gibt es auch spannende neue Geschäftsmodelle, spannende neue Pricing Models

Auf der anderen Seite stehen Volumenhersteller wie GM und PSA, zwei Unternehmen, die in der Vergangenheit nicht glänzten durch Innovativität, Blue Ocean oder besonderes Premium oder besonders kostengünstig sind, sondern irgendwie Durchschnitt sind.

PSA (heute Stellantis) hat sehr stark auf das Pricing gesetzt unter CEO Tavares.

GM hat dagegen Pricing nur als Hebel genutzt, um mehr Volumen zu generieren. Man sprach um 2009 bei GM über diese riesigen Preisnachlässe, die zum sogenannten “Desperation Pricing” geführt haben. Man wollte unbedingt das “Monster im Rücken” füttern, nämlich das Produktionswerk, und versuchen so viel wie möglich Fahrzeuge abzusetzen. Aber dann hat man nur Verluste erzeugt. Man hat das Preisimage kaputt gemacht und GM musste dann Chapter 11 anmelden.

PSA hat damals gesagt: “Unser Fokus ist die Verbesserung der Nettopreise. Ziel ist es, die Preiskennzahlen zu erreichen. Wir wollen aufpassen, dass wir eine Preissetzungsmacht haben. Wir wollen die Fahrzeuge auf Basis des Kundennutzens bepreisen.”

Die Preisqualität war Ziel von CEO Tavares und die Ergebnisse sind beeindruckend. Die Rentabilität war 2014 bei 0 %, 2018 dann bei 8% und 2022 bei fast 10%. Das wegen einer verbesserten Preisdisziplin und damit verbunden eine höhere Rentabilität.

Der Clou ist, dass Tavares Opel von GM gekauft hat. Opel hatte ja 17 Jahre lang nur Verluste generiert. Dann wurde Opel übernommen und schon im ersten Jahr nach der Übernahme hatten sie ein Betriebsgewinn von 5%.

Das zeigt also den Unterschied zwischen einer mehr Kosten-Mentalität und einem Pricing-Ansatzes.

Pricing Revolution

In deinem Buch sprichst du von vier Stufen: Preisstrategie, die Preissetzung, die Preisimplementierung und Preissteuerung. Bei PSA und GM-Beispiel sind die großen Unterschiede im hinteren Teil, der Preisumsetzung.

Dr. Danilo Zatta: Jedoch es ist auch das Thema Preisstrategie vorne wichtig. Bin ich bereit, auf Marktanteile zu verzichten, weil ich dann höhere Margen haben, höhere Preise und deshalb meine Marktquote runtergeht?

Das muss man auch dann akzeptieren und auch klar kommunizieren.

Denn wenn ich nicht bereit bin, auf Volumen zu verzichten und Marktanteile sind mir sehr wichtig, dann werde ich auch im Preis Nachlässe hinnehmen müssen.

Die Richtung muss der CEO in der Preisstrategie festlegen. Leute wie Stellantis-CEO Tavares oder der ehemalige Porsche-CEO Wiedeking.

In der Krise von 2008 hat Wiedeking die Produktionsmenge reduziert, nicht die Preise. Damit hat er den Wert von Gebrauchtwagenfahrzeuge gestützt. Dadurch wurden Preise höher gehalten und noch Margen generieren, und nicht das Pricing genutzt, um Nachfrage anzukurbeln, die es vielleicht gar nicht gibt.

Etwas neuer sind Subskriptionen auch als Abo-Modelle bekannt. Bei einer Fahrzeugfinanzierung achtet kaum jemand auf den Listenpreis, wenn die monatliche Rate stimmt. Auch Abos oder Long Term Rentals fühlen sich genauso an. Was ändert sich hier in der Preisgestaltung?

Dr. Danilo Zatta: Viele Fahrzeughersteller suchen nach Wegen, um den gesamten Lebenszyklus der Kunden einzufangen und praktisch dann im Laufe den Lebenszyklus mehrere Fahrzeuge, mehrere Dienstleistungen, alles mögliche “cross- und up zu sellen”.

In Vergangenheit als ich für x Euro ein Fahrzeug verkauft habe und das Eigentum übertragen habe, hat der Käufer y Euro bezahlt.

Dann war er Eigentümer und war weg.

Heute sagen Nio oder auch Volvo mit den “Care by Volvo”-Modell: “Ich will gar keine Autos mehr verkaufen, ich will eine ein Abo verkaufen. Du bleibst ein Leben lang mein Kunde und ich kann upsellen. Ich kann Softwarepakete verkaufen. Ich kann Optionen verkaufen. Und ich verkaufe das nächste Auto.”

Das heißt, ich will die Kundenbeziehung im Mittelpunkt stehen und sicherstellen, dass der Kunde dann bei mir bleibt. Es ändert sich auch dann die Preiswahrnehmung. Du zahlst viel weniger, je nach Use, je nach Monat und nicht mehr diese 50.000 oder 70.000€ für ein Fahrzeug auf einmal, die dann auch eine große Hürde sind.

Und verändert sich dann auch die Preiswahrnehmung?

Absolut. Man sieht dann halt einen kleinen Betrag und nicht den sehr hohen Betrag.

Dennoch kann man auch bei diesen Abo Modellen sehr schön spielen, denn es gibt nicht den Standardkäufer, sondern sehr viele verschiedene Segmente, die viele unterschiedliche Bedürfnisse haben.

Und auch mit diesen Abo Modellen kannst du viele verschiedene Bedürfnisse besser bedienen. Mit einem solchen Abo hat der Kunde manchmal sogar Zugriff auf das gesamte Produktprogramm einer Marke.

Muss ich da nicht auch die gesamte Preisanalytik vollständig anpassen? Wenn ich Leute frage, was die größte Kostenposition beim Autobesitz, dann sagen viele Leute häufig spontan Treibstoff. Und in Tat und Wahrheit ist es der Wertverlust.

Dr. Danilo Zatta: Das muss man gut analysieren. Man muss vom Markt kommen und verstehen, was sind Zahlungsbereitschaften, was sind Preisschwellen, welche Segmente kann ich womit am besten bedienen? Und da haben ja vor allem die großen OEMs viele Möglichkeiten, mit verschiedenen Modellen und Marken da zu spielen. Aber das ist ja das Tolle, da öffnen sich viele Möglichkeiten, die es in der Vergangenheit doch nicht gegeben hat.

Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz derzeit beim Pricing?

Dr. Danilo Zatta: Laut einer Studie ist KI (Künstlichen Intelligenz) nicht nur von großem Interesse, sondern auch eine Priorität für viele Unternehmen. Fast 80 Prozent der Befragten sehen das so.

Aber nur 25% können konkrete Use Cases benennen.

Die einen geben an, dass sie auf die richtigen Daten warten müssen. Das wird nie der Fall sein, selbst wenn alle Daten vollständig und perfekt sind. Es ist wichtig, eine Lösung zu entwickeln, anstatt sich der Illusion perfekten Daten zu hingeben.

Der Rest scheitert am Erkennen möglicher Use Cases.

Trotzdem gibt es viele faszinierende Einsatzmöglichkeiten für KI.

Ein Beispiel dafür ist Pricing für Ersatzteile. Insbesondere bei sinkenden Absatzvolumen rückt der Aftersales zunehmend in den Fokus. Die sinkenden Margen beim Neufahrzeugen können mit Gewinnen aus dem Aftersales zu kompensieren.

Ich habe künstliche Intelligenz verwendet, um die Ersatzteilpreise für einen Premiumhersteller zu optimieren. Zu Beginn fragten mich die Mitarbeiter des Aftersales: „Was willst du eigentlich? Du bist hier nur, weil der Chef es will. Wir sind jedoch bereits die führenden, unsere Preise sind bereits äußerst hoch.”

Einige Wochen später waren wir die besten Freunde: „Wow, mit deinem Algorithmus haben wir festgestellt, wo wir im Vergleich zu Konkurrenten stehen. Wenn wir die Wettbewerbspreise aufnehmen und 100.000 von Teilen sehen, wo waren wir eigentlich unter dem Durchschnitt und hätten über dem sein müssen. Wir haben verschiedene Möglichkeiten entdeckt, die Preise angepasst werden konnten und insgesamt konnten wir schnell hunderttausende von Euro erzielen, die man entweder mit bloßem Auge oder mit Excel nicht erkennen konnte.”

Aber als die künstliche Intelligenz alle diese Elemente gleichzeitig verarbeitete, ergaben sich viele Optionen. Es wurden mehrere 100.000 € zusätzlicher monatlicher Gewinn für eine Landesgesellschaft erzielt, ohne dass das Image beeinträchtigt wurde. Wir konnten die Preise erhöhen, ohne Volumenverluste oder Kundenbeschwerden zu erzeugen.

Die Algorithmen entwickelt ihr selber?

Dr. Danilo Zatta: Genau das machen die Kollegen, die Physik, Statistik und Data Engineering studiert haben. Ich erkläre den Kollegen, was das Algorithmus können muss, was es bearbeiten muss, wie es vergleichen muss. Ich erkläre die Regeln und die werden dann von den PhDs und Data Engineers dann umgesetzt.

Wichtig ist, nicht darauf warten, dass perfekte Daten vorliegen.

Mein Vorschlag lautet, mit After Sales Pricing zu beginnen. Werden weniger Neuwagen verkauft, wirkt sich dies meist positiv auf die Nachfrage von Gebrauchtwagen aus. Das fördert meist auch die Nachfrage nach Ersatzteilen. Meine Empfehlung wäre daher, dort zu beginnen, da dies kurzfristig Umsatz einbringt.

Das kann die langfristige KI-Transformation finanzieren, auch für das Neuwagengeschäft. Mithilfe von KI ist es möglich, gezielt Upselling, Cross Seling, Rabatte und andere Maßnahmen durchzuführen, die früher möglicherweise nicht möglich waren. Aufgrund von Daten, Lernen, Kundencharakteristika und Kundenentscheidungen kann der Prozess effektiver gestaltet werden.

Wie lange wird es dauern, bis wir die erste KI sehen, die tatsächlich dynamische Preisgestaltung durchführen kann?

Dr. Danilo Zatta: Ich denke, dass das Thema dynamisches Pricing ein Use Case für die Zukunft ist.

Aktuell ist es sehr wichtig und wertvoll ist, zu verstehen, welche Kunden sich für welche Incentives interessieren. Einer möchte ein Cash Back erhalten, und er erhält 4.500 € als Preisnachlass beim Kauf eines Autos. Ein anderer möchte ein Sportpaket haben. Der andere möchte eine 0%-Finanzierung. Viele Hersteller fragen sich, welche Incentives greifen, wo ich Geld versenke und wo ich es gut einsetze. Das ist ein aktuell sehr wichtiger Use Case für KI.

Sowas ähnliches sehen wir heute mit der KI im Online-Retailbereich, wo man halt Promotions optimiert.

The 11 Rules of Highly Effective Pricing

Die Idee ist dort ähnlich wie ist meine mein Return on Investment bei der Promotion? Was ist mein Uptake? Wie kannibalisiere ich eigentlich die Verkäufe vor und nach der Promotion Periode? Da könnte man vieles von diesen Ideen auch hier übertragen und verstehen. Welche Incentives sind die richtigen? Welche sollte ich gestalten, welche nicht, bis hin zu den Cash Backs oder Incentives für Dealer? Da kann man sehr viel dann an Erkenntnissen generieren und viel optimieren.

Wenn Du einen Brief an die CEOs in der Autoindustrie schreiben würdest, was würdest Du ihnen sagen?

Dr. Danilo Zatta: Denken Sie daran, dass es immer drei Möglichkeiten gibt, das Ergebnis zu verbessern: Volumen, Kosten und Preis.

In der Automobilindustrie liegt der Schwerpunkt auf Kosten oder Volumen. Oft werden Preise nachrangig behandelt. Aber wenn Sie alles auf der Preisseite richtig machen, erhalten Sie das schnellste und stärkste Payback.

In Zeiten neuer Technologien (KI) und innovative Monetarisierungsansätze (Softwareservices, Extended Offering) wird es noch wichtiger zu verstehen, wie man die Zahlungsbereitschaften von Käufern besser erfassen und passende Preismodelle aufsetzen kann.

Preise gehören zu den Kernprioritäten auf dem C-Level.

Was ist wichtiger für profitables Pricing, Daten/KI oder Strategie?

Dr. Danilo Zatta: Strategie; bin ich bereit, auf Marktanteile zu verzichten, um höhere Profite zu erzielen.

Marchionne, ex-CEO von Stellantis, sagte: “Ich will Marktanteile, aber sie müssen profitabel sein. Ich verzichte dann auf billigere Fahrzeuge im Portfolio.” Er hat dann Maserati wieder stärker gepusht. Der hat Alfa Romeo gepusht. Er wollte einfach die Premiummarken pushen, wo er halt mehr Marge hat und wo er zur Not auch auf Volumen verzichtet.

Ein gutes Beispiel einer anderen Branche ist Sony.

Sony, weltweit führend in Consumer Electronics, war seit Jahren in der Verlustzone. Und als wir mit denen gesprochen hatten in den Headquarters, sagten sie: “Wie können wir zurück zum Ertrag?” Da meinten wir: “Ihr müsst die Preise erhöhen”. Und das war ein Tabu. Einige Jahre später haben sie gesagt: “Schluss mit der Volumenstrategie, wir müssen halt Preise erhöhen. Wir müssen halt auf Marktanteil verzichten, weil wir ansonsten niemals profitabel werden.”

Und so ist es ja auch in der Autoindustrie. Das heißt, wenn du sagst, Priorität ist, profitabel zu sein und Marktanteile zu gewinnen, dann wird man nicht mehr die Volumina in den Markt pushen, weil das dann eine zweite Priorität geworden ist.

Vielen Dank für ein super interessantes Gespräch, Danilo.

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