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Vielen geht der Umbau in der Deutschen Autoindustrie zu langsam. Auf LinkedIn werden die deutschen Hersteller und Zulieferer kritisiert: zu langsam, zu unentschieden, zu kompliziert.
Wird das was mit SMART MOBILITY?
Technische Innovationen im Fahrzeug kommen oft von den Zulieferern. Dementsprechend müssen sie viel investieren und viele Risiken in der Produktentwicklung eingehen. Um eine Innensicht zu bekommen, spreche ich heute mit Rosa Meckseper, Head of Business Area Smart Mobility, Continental North America. Zuvor war sie SVP Corporate Strategy bei Continental und VP Marketing und Business Strategy bei Bosch Chassis Control Systems.
Steffen Szameitat: Zunächst die Einstiegsfrage: Welches ist dein Traumauto?
Rosa Meckseper: Traumauto verbindet man klassischerweise mit einem Aston Martin DB 5 oder Jaguar E Type aus den 60er Jahren. So emotional aufgeladen und so wunderschöne Fahrzeuge. Alltagstauglich und zukunftsorientiert sind jedoch die aktuellen Autos mit der ADAS Komplettausstattung. Besonders die Autos von der Westküste und die der deutschen Hersteller. Diese neuen Technologien sind für mich natürlich total spannend.
Steffen Szameitat: Wir erleben derzeit eine ganze Reihe von Durchbrüchen bei Hardware, Software und Sensorik. Auf der anderen Seite haben wir auch so eine Art Ernüchterung. In 2017, 2018 gab es auch in Deutschland Stimmen, dass wir 2022 vollautomatisch fahren. Da hat eine Ernüchterung eingesetzt. Wo geht die Reise hin?
Rosa Meckseper: Die Software-Defined-Vehicles (SDV) werden viel stärker vom Nutzer herkommend entwickelt. Da ergeben sich neue Anforderungen, neue User Experiences, die wir entwickeln und die eine Veränderung in der EE-Architektur erfordern. Und somit eine ganz andere Denkweise, Herangehensweise, als alles, was wir bisher gesehen haben, um das auch im Fahrzeug abzubilden. Diese vom Kunden her gedachten Visionen werden auf einzelne Anwendungen heruntergebrochen. Die Implikationen auf Software- und Hardwareanforderungen sind natürlich enorm.
Steffen Szameitat: Was bedeutet das für das Auto, was werden wir auf der Straße sehen?
Rosa Meckseper: Wir sehen heute schon eine inkrementelle, evolutionäre Entwicklung. Wann wir Level fünf, also fahrerloses, vollautomatisches Fahren, erreichen, sowohl in der Stadt als auch auf dem Highway, ist die große, viel diskutierte Frage. Aber wir gehen Stück für Stück vorwärts.
Steffen Szameitat: Also gehen wir jetzt inkrementell vor. Hersteller setzen nicht mehr auf große Sprünge, sondern es muss erst mal die gesamte EE-Architektur einschließlich Hardware und Sensorik umgebaut werden, durch die verschiedenen Fahrzeugklassen durchgebracht werden, ins Feld rein usw.
Rosa Meckseper: Genau. Dabei müssen die Sensorik oder die Hardware für das automatisierte Fahren oder auch für das smarte Fahrzeug bezahlbar sein. Deshalb ist aktuell ein wichtiger Fokus, Standards zu entwickeln, sowohl bei der Hardware als auch in der Software.
Wir brauchen wiederverwendbare, standardisierte Komponenten, um Kosten zu reduzieren, zu skalieren und die Geschwindigkeit in der Entwicklung, in der Fertigung und auch beim Update später zu erlauben. Dabei ist nicht nur die Plattform neu, also Hardware und Software, sondern auch die Entwicklungsmethode.
Im Prinzip kennen wir das vom Smartphone, dass wir in Lebenszyklen denken und die Software schneller updaten können müssen. Im Auto ist das allerdings ungemein komplizierter. Dort kommen die Sicherheitsanforderungen hinzu, da es um die Sicherheit der Insassen geht. Alles in Realtime, wenn man automatisiert fährt. Weitere wichtige Aspekte sind Cybersecurity und die Updates im Lebenszyklus, wo die Updates natürlich sofort wirken oder Algorithmen laufen und Wechselwirkungen haben. Alles muss 100 % kontrolliert und abgesichert sein.
Was man in kurzer Zeit im Markt sieht, wird nicht das vollautomatische Auto sein. Das hast Du richtig erkannt. Wir sehen aber evolutionäre Entwicklungen. Und was hinter den Kulissen passiert, ist einfach enorm.
Das ist die Transformation, durch die wir gerade durchgehen. Hier brauchen wir alle andere Sichtweisen, andere Denkweisen. Wir müssen effizienter sein, innovativer, monolithische Systeme zu reduzieren, kleiner, handhabbarer machen. Modularer ist der ganze Trend in der Entwicklung in der Automobilindustrie gerade.
Steffen Szameitat: Verschiebt sich die Aufgabenteilung zwischen Hersteller und Zulieferern?
Absolut. Und wenn du mich fragen würdest, was ich im CEO oder allen CEOs schreiben würde in einem Brief, wenn ich die Möglichkeit hätte, dann dass die Zusammenarbeit in der Industrie der kritischste Bereich ist, um das Ganze, diese Transformation, auch hinzukriegen. Keine einzelne Firma auf der Welt wird das allein schaffen. Wir brauchen verschiedene Experten, wir brauchen verschiedene Rollen. Wir brauchen Optimismus und Zusammenarbeit, um wirklich die ganze Software-Defined Transformation hinzukriegen.
Steffen Szameitat: Wie kann das konkret aussehen? Arbeiten die Deutschen dann zusammen oder arbeiten die Deutschen mit den Chinesen zusammen oder alle zusammen?
Rosa Meckseper: Das muss jeder für sich entscheiden. Also meine Erfahrung zeigt, dass Nähe wichtig ist. Zum Beispiel gibt es innerhalb Deutschlands ein Cluster rund um Stuttgart. Das ist schon ein Vorteil, wenn die Sprache und die räumliche Nähe auch gegeben sind. Aber letzten Endes sind nicht nur Kultur und Zusammenarbeit ein Schlüssel, sondern es bleibt Kompetenz der treibende Aspekt. Und da können es Japaner zusammen mit Deutschen sein. Da können es Japaner, also OEMs oder Zulieferer, oder neue Player zusammen mit Amerikanern sein. Und da sehen wir zahlreiche Partnerschaften in allen Spezialaspekten, aber auch in größeren Bereichen.
Steffen Szameitat: Du verantwortest u. a. den Aftermarket Bereich für Continental Nordamerika. Das heißt, du schaust auch insbesondere die Versorgung von Flotten mit Ersatzteilen, mit Ersatzteilkomponenten usw. Jetzt machen Software und Sensorik die Autos eher komplexer. Worauf müssen wir uns da einstellen, sowohl auf der Kundenseite als auch auf der Händlerseite?
Rosa Meckseper: Wie jede technologische Entwicklung ist es zunächst in den OEM eigenen Werkstätten im Angebot, die komplizierteren Reparaturen oder die neuen Reparaturen, und kommt dann nach 3 bis 5 Jahren, je nach Durchdringung, in den Independent Aftermarket. Und das ist der Bereich, in dem wir vor allem wachsen. Wir unterstützen auch die OEMs im eigenen Aftermarket mit Produkten. Herausforderung wird sein, qualifizierte Mechaniker und KFZ-Meister zu finden. Egal, wen du in der Industrie fragst, im Aftermarket, es ist schon seit einer Weile der Haupttreiber weltweit, dass wir nicht genügend Leute in den Werkstätten kriegen. Und wenn wir sie haben, geht es natürlich darum, diese Schritt für Schritt auch auszubilden: zum Beispiel in Sensorik, also die Kalibrierung einer ausgetauschten Kamera oder eines neuen Radars zum Beispiel.
Steffen Szameitat: Ist das für euch ein Strategiefeld bzw. habt ihr Vorschläge zur Beseitigung des Engpasses an qualifizierten Automechanikern?
Rosa Meckseper: Das ist eine gute Frage. Wir liefern vor allem die Teile in die Werkstätten. Wir haben vergleichsweise wenige eigene Werkstattketten. Wir haben in Europa mit Best Drive und Vergölst eigene Werkstätten. Da spüren wir etwas, es ist aber nicht unser primärer Fokus. Über Remote Vehicle Diagnostic nehmen wir einiges an Arbeit schon ab. Vor Ort so ein Teil auszutauschen, da braucht man schon die Mitarbeiter in der Werkstatt für.
Steffen Szameitat: Wann werden die neuen Software-defined Vehicles im Independent Aftermarket ankommen?
Rosa Meckseper: Die können ja heute auch schon in dem Independent Aftermarket versorgt werden. Denn es ist die Entscheidung des Fahrers, in welche Werkstatt er geht. Nur die Frage dann: Ob die Werkstatt qualifiziert ist und das Auto annehmen kann. Das trauen die sich oft nicht zu.
Steffen Szameitat: Wird dieser Engpass in 10 Jahren noch deutlicher, weil die Durchdringung der Fahrzeugflotte mit den neuen Technologien höher ist?
Rosa Meckseper: Der Engpass ist der Headcount in den Werkstätten. Und das ist heute schon so. Das hat nichts mit der Fahrzeugtechnologie zu tun. Die Mitarbeiter fehlen auch heute. Das muss so oder so gelöst werden.
Steffen Szameitat: Stichwort Smart Mobility: Wie wird sich diese in 10 Jahren entwickeln?
Rosa Meckseper: Smart Mobility ist bei uns eine Business Area, bestehend aus Aftermarket, Nutzfahrzeuggeschäft und Telematik und Services.
Smart ist Aftermarket, weil es nachhaltig ist, ein Fahrzeug zu reparieren, statt ein neues zu kaufen. Smart ist der Logistikbereich, wo wir mit unserem Partner Aurora an vollautomatisierten Nutzfahrzeugen arbeiten. Und smart ist, und das ist eher das breitere Verständnis, ein Fahrzeug oder ein Angebot, das mitdenken kann, was den Fahrer von den repetitiven Aufgaben entlastet. Was die Sicherheit erhöht. Was Nachhaltigkeit, also Effizienz, unterstützt.
Beispielsweise entwickeln wir mit Sona Telematics, einer Tochter, die in Seattle sitzt, Telematiklösungen für Schulbusse. Mit der Lösung weiß man als Mutter oder Vater genau: Mein Kind ist in das Fahrzeug eingestiegen, wo ist es gerade? Und auch, wenn es sicher ausgestiegen ist, an der an der Schule oder zu Huase.
In allen Aspekten unterstützen Telematik-Lösungen das, was wir unter Smart Mobility verstehen.
Steffen Szameitat: Das klingt pragmatisch: “Let’s walk before we run.“ Einzelne Schritte gehen, die mit Technologie, mit Sensorik, mit Software umsetzbar sind.
Rosa Meckseper: Wir schauen uns die Use Cases schon sehr, sehr genau an, bevor wir uns entscheiden, was wir mit wem machen.
Ich kann aber die Ernüchterung verstehen. Mir geht es ja genauso. Ich war auch vor etwa 10 Jahren an den Strategierunden beteiligt. Und ich erinnere mich auch noch an die großen Szenarien, die wir gemalt haben: Evolutionär und revolutionär gleichzeitig.
Daraus ist in der Tat nichts geworden. Sicherlich auf der einen Seite aus Kostengründen: Man kann nicht alles finanzieren für den gleichen Return. Aber auch aufgrund der schieren Komplexität.
Und es geht nicht ohne Partnerschaften. Und Partnerschaften, haben nicht nur die kompetenzseitigen Synergien. Es gibt auch Risiken auf der kulturellen, auf der kollaborativen Seite. Man kann nicht alle Strategien von allen Partnerschaftsteilnehmern bestimmen, beeinflussen. Das macht die ganze Sache auch auf allen Ebenen komplexer und schwieriger.
Deshalb ist heute jeder in der Industrie dabei, sich die Innovationen Case-by-Case anzugucken und zu überlegen: Spiele ich auf allen Themen mit oder nur auf selektiven? Und wenn ja, auf welchen?
Steffen Szameitat: Wir sehen spezielle Innovationszyklen in der Autoindustrie. Die Analogie zum Smartphone bzw. auch zur Computertechnik trügt, wo die Softwareentwicklungszyklen deutlich schneller gehen, wo auch der Zuwachs an Kapazität nach Moore’s Law exponentiell ist. Aber nachdem so viel investiert worden ist, haben wir gelernt: Die Annahme, je mehr wir uns mit dem Auto in Richtung Computer bewegen, findet auch eine Beschleunigung statt, stimmt so nicht immer.
Rosa Meckseper: Ja, ein Fahrzeug hat ganz andere Anforderungen als ein Smartphone, was Real-Time angeht, was Sicherheit angeht, was Cybersecurity angeht und natürlich auch, was Kosten betrifft. Das erzeugt eine neue Dimension von Komplexität. Das Smartphone ist eine gute Analogie und man kann sich viel davon abschauen und es ist eine Inspiration. Aber es ist ja nicht das Gleiche.
Inkrementelle Innovation, Case-by-Case Entscheidungen und Partnerschaften sind ein Vorgehen, mit dem wir besser vorankommen-
Steffen Szameitat: Prima Zusammenfassung. Danke, Rosa, für das Gespräch.