Lesezeit: 7 Minuten
Lerngeschwindigkeit und Karriereverlauf sind miteinander verbunden.
Menschen, die zufrieden oder sogar glücklich mit ihrer Arbeit sind, erwerben schnell neue, relevante Kompetenzen, die sie begehrter, erfolgreicher, nachgefragter machen.
Doch: Erworbene Skills und Erfahrungen führen uns zwar in neue Karrieremöglichkeiten, aber sie reichen nie aus, um in einem neuen Job erfolgreich und zufrieden zu sein. Es braucht neue Fähigkeiten, um diesen zweiten Berg zu erklimmen. Der zweite Berg liegt hinter dem ersten Berg. Und einem tiefen, dunklen Tal. Der erste Berg ist das erste Berufsleben, mit Familie, Finanzen und vielem mehr. Wenn der erste Berg erklommen wurde, dann steht das für Erfolge und Zufriedenheit im Beruf und im Leben allgemein. Das tiefe Tal kommt nach der Einsicht, dass der erste Berg erklommen ist und in der Vergangenheit liegt.
Und erst wenn das Tal durchschritten ist, kommt der zweite Berg.
Der zweite Berg liegt hinter dem ersten Karriereende.
Es gibt zwei Umstände für ein Karriereende: Meist entscheiden wir darüber. Seltener entscheiden unsere Chefs und Arbeitgeber. Fokussieren wir zunächst auf den ersten Umstand: Wir entscheiden, ob wir unsere Karriere weiter verfolgen oder nicht. Das Interessante ist, dass wir Karriereentscheidungen nicht immer bewusst treffen. Denn es ist oft ein langer Prozess, bis ein kritisches Ereignis, z. B. ein klares Feedback oder ein Job-Angebot, uns über unsere Karriere nachdenken lässt.
In der Zwischenzeit treffen wir unbewusst viele kleine Entscheidungen, die unseren Karriereverlauf bestimmen.
Hier ein einfacher Test, um herauszufinden, wo man in diesem Prozess steht. (alle Feststellungen beantworten mit „überhaupt nicht richtig“, „manchmal richtig“, bzw. „sehr richtig“ – übernommen aus Vishen Lahiani, The Code of the Extraordinary Mind).
- Ich liebe meine Arbeit, oft fühlt sie sich nicht wie Arbeit an.
- Meine Arbeit bedeutet mir sehr viel.
- Oft erlebe ich glückliche Momente bei der Arbeit, so dass die Zeit im Flug vergeht.
- Geht etwas schief, bekümmert es mich kaum. Ich weiß, dass langfristig alles gut ist.
- Ich sehe eine positive Zukunft in meinem Job, wissend, dass sehr viele gute Dinge vor mir liegen.
- Stress und Befürchtungen habe ich kaum. Ich kann auf meine Fähigkeiten vertrauen, um meine Ziele zu erreichen.
- Weil ich eigene, herausfordernde Ziele vor mir habe, blicke ich positiv in die Zukunft.
- Ich nehme mir Zeit zum kreativen Nachdenken über die Zukunft.
Wenn alle Fragen positiv beantwortet werden, dann wird jede neue Aufgabe, jedes Training und jedes Coaching den Karrierefortschritt beschleunigen. Wir erlernen sehr schnell neue Skills. Die Lerngeschwindigkeit ist hoch.
Wenn die Testfragen negativ beantwortet werden, ist es an der Zeit, den zweiten Berg in Angriff zu nehmen.
In diesem Fall braucht es Orientierung, keine Lernprogramme oder neue Aufgaben. Neue Skills erlernen wir in diesem Zustand nur sehr langsam. In den Jahren 2017 und 2018 habe ich die Fragen eins bis vier verneint. Die Fragen fünf bis acht konnte ich nur positiv beantworten, wenn ich an meinen persönlichen „zweiten Berg“ dachte. Also hatte ich mich unbewusst bereits für mein Karriereende entschieden. In dieser Situation habe ich keine relevanten neuen Fähigkeiten erlernt. Nach intensivem Coaching habe ich dann Ende 2018 meinen gut bezahlten Job gekündigt. Aber eigentlich war die Frage +1 ausschlaggebend, dazu aber gleich. Unbewusste Entscheidungen können wir uns bewusst machen und dann gezielt beeinflussen. Und natürlich gibt es auch einen Rahmen, den wir nur begrenzt kontrollieren können. Der externe Rahmen ist der zweite Faktor, der den Karriereverlauf und die Lerngeschwindigkeit bestimmt.
2023 kommt der zweite Berg für uns in der Autoindustrie schneller als zuvor.
Denn die europäische Automobilindustrie schrumpft und viele erfahrene Manager und Managerinnen werden früher in den Ruhestand geschickt. Und hier ist die +1. Testfrage:
- Meine Stelle ist wertvoll für das Unternehmen. Mein Chef und mein Arbeitgeber schätzen meine Arbeit. Meine Fähigkeiten und Erfahrungen werden in den kommenden Jahren schwer zu ersetzen sein. („überhaupt nicht richtig“, „manchmal richtig“, bzw. „sehr richtig“)
Die Beantwortung dieser Fragen erfordert Mut, Ehrlichkeit sich selbst gegenüber und Fakten, wie z. B. konkrete Unternehmensdaten und Feedback von Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeitern. Doch wenn man sich davor scheut, sie zu beantworten, macht man Kompromisse beim Karriereerfolg und der eignen Lerngeschwindigkeit.
Ich habe Sie mir 2017/2018 beantwortet.
Daraufhin habe ich meinem Chef vorgeschlagen, meine Stelle zu streichen. Ich war zu wenig von der Notwendigkeit meiner damaligen Stabsstelle für das Unternehmen überzeugt. Gleichzeitig habe ich, wie oben bereits erwähnt, keine relevanten neuen Fähigkeiten erlernt.
Ich wurde zwar von meinen Vorgesetzten und Kollegen persönlich geschätzt, aber mein tatsächlicher und anerkannter Mehrwert war vernachlässigbar.
Die 8+1 Testfragen helfen zu erkennen, ob die aktuelle Karriere, der aktuelle Job „im Flow“ ist und ob man schnell genug neue relevante Skills lernt oder nicht. Für Learning-Professionals der Personalabteilungen und Manager sind diese 8+1 Testfragen ein hervorragendes Instrument, um die Effektivität von Lernprogrammen zu steigern. Personen am Ende ihrer ersten Karriere lernen schlecht neue Skills, da sie nach Orientierung und weniger nach neuen Skills suchen.
Manager und Mitarbeiter hingegen, die sich für ihre Arbeit begeistern, „saugen“ geeignete Lernprogramme für neue, relevante Kompetenzen geradezu auf. Der wichtigste Hebel für die Lerngeschwindigkeit ist die Begeisterung für die eigene Arbeit. Am Ende der Karriere braucht man keine Lernprogramme, sondern Klarheit über den zweiten Berg.
Dazu mehr in einer der kommenden Ausgaben des Saturday Automotive Learner’s Newsletter.
Heute schreibe ich aus dem Algonquin-Park in Ontario, Kanada, wo ich mit meiner Familie einen Kanuausflug in die Wilderness Ontarios gemacht habe. Dort leben noch Bären, Wölfe und Elche in großer Zahl. Aber es gibt kaum Internet. Das ist mein Weg, meine verschiedenen Ziele zu verfolgen. Die Verspätung meines Newsletters bitte ich deswegen zu entschuldigen.