SALN #41: Luca de Meo (Renault) – Der AIRBUS-Kleinwagen.

Essays·Research

Lesezeit: 11 Minuten 

Die europäische Autoindustrie ist in der Krise. Die Ergebnisse der europäischen Industrie 2023 waren rekordverdächtig (Analyse von Gemini). 

Die Krise reckt ihr schnödes Haupt: Mercedes verkauft das Tafelsilber und übergibt sein legendäres Retailnetzwerk an Investoren. Die BMW-Aktie war diese Woche auf Talfahrt. Die Marke VW hat das Abfindungsprogramm (das schon seit einem Jahr läuft), in die Presse gebracht und verspricht einen „Turbo-Bonus“ für Freiwillige. Audi ist nach Vorstandswechsel auf kommunikativer Tauchfahrt.  

Nur bei Stellantis sucht Carlos Tavares einen Nachfolger für sich, denn er weiß: Besser wird es nicht mehr. 

Und Luca de Meo, CEO von Renault und Präsident des Herstellerverbandes ACEA, schreibt einen „Brief an Europa“.

Luca ist der Richtige für diesen Brief 

Denn er ist der Prototyp und Vorbild eines Europäers und gleichzeitig ein Kenner der Industrie. 

Luca de Meo spricht die fünf großen Sprachen Europas fließend: Italienisch, Französisch, Deutsch, Englisch und Spanisch. Er hat in Italien gearbeitet, in Belgien, Deutschland, Spanien und nun in Frankreich. Er war bei Toyota, Fiat, Audi, Volkswagen, SEAT/CUPRA und nun Renault. 

Einer seiner Standardaussagen hinter verschlossenen Türen: „Diese Industrie ist voll Bullshit.“   

Luca de Meo, CEO Renault Group und Präsident der ACEA, des europäischen Herstellerverbandes

Das klingt aggressiv. Dazu muss man wissen: Persönlich sehr nahbar und ein visionärer Manager. Zwar produziert er neue Ideen am Fließband. Aber er verfolgt wichtige Projekte über Jahrzehnte – auch gegen den Widerstand und gegen tiefsitzende Grundüberzeugungen von Automanagern.  

Er hat als CEO den Launch des Fiat Cinquecento geleitet und wurde 2009 zum Volkswagen Konzern geholt. Zwei Jahre später kam der up! in den Markt. Ab 2015 positionierte er SEAT als Entwicklungszentrum für die ID.2-Familie, die kleine Elektroplattform des Volkswagenkonzerns. Bei Renault hat er Clio, R 5 und Megan wieder zum Anker der Marke geworden, während Capture, Austral, Arkana und Espace das Geld verdienen.  

Der paneuropäische Kleinwagen ist das, was von dem Brandbrief und Luca de Meo in 20 Jahren in Erinnerung bleiben wird. 

Der Ast, auf dem wir sitzen, ist sehr stark. 

Der „Bullshit“ entsteht in der europäischen Industrie durch ein babylonisches Interessensgewirr.  

Das Hauptproblem: Die Industrie ist in sich uneins, verfolgt alte Rivalitäten, und Politik und Industrie ziehen in verschiedene Richtungen.  

Wir erleben in Europa die perfekte automobile Kakophonie.  

DESHALB erinnert Luca de Meo an die Gemeinsamkeiten der Autoindustrie in Europa. 

Die Rolle der Autoindustrie für Europa wird zu oft verkannt. Diese Industrie allein trägt 8% des BIP in der EU bei. Fast ein Zehntel sämtlicher wirtschaftlichen Aktivitäten in den 27 EU-Staaten hängt von dieser Industrie ab. Die Autoindustrie stellt ein Viertel sämtlicher R&D-Investitionen in Europa und über 20 % aller Steuereinnahmen) 372 Milliarden Euro) in der Europäischen Union dar.

Gleichzeitig hat sich der Schwerpunkt des Autoabsatzes nach Asien verschoben, wo bereits 51% aller Fahrzeuge abgesetzt werden. China setzt auf eine langfristige Elektrostrategie. 

Die Autoindustrie ist die größte Supply Chain des Planeten. Und sie ist global: Alle Staaten sind über diese Supply Chain voneinander abhängig.

Diese Abhängigkeiten sind komplex. Komplexer, als viele es wahrhaben wollen und (aufgrund ihres Vorwissens) verstehen können. Und diese Abhängigkeit wird durch die globalen Player unterschiedlich interpretiert und zum jeweiligen Vorteil genutzt. 

Die Zukunft der europäischen Autoindustrie wird sich auf dem internationalen Markt entscheiden: Welche Rolle spielen die Europäer in 10 oder 20 Jahren in dieser globalen Supply Chain? 

US fördert, CHN plant, EU reguliert. 

Alle Regierungen der großen Industrienationen nehmen die Autoindustrie sehr wichtig. Vielleicht ist sie nicht die wichtigste Industrie, aber sie ist sehr wichtig. Mobilität ist strategisch. 

Die US-Regierung hat mit dem Inflation Reduction Act und dem Chips-Act günstigere Voraussetzungen zur Ansiedlung der Supply Chain in Nordamerika. Damit versuchen die USA, unabhängiger zu werden von der chinesischen Dominanz bei Elektrofahrzeugen. 

China hat eine Dominanz in der gesamten Supply Chain für Elektrofahrzeuge bereits aufgebaut. Von Rohstoffen, über Forschung und Entwicklung zur Zellfertigung, Produktionskapazitäten für Elektrofahrzeuge, Ladeinfrastruktur, Erzeugung auch erneuerbarer Energien, bis hin zum Batterierecycling baut China systematisch globale Dominanz auf und lässt sich durch Marktschwankungen hier nicht bremsen. 

Die EU hingegen, so de Meo, belastet die Industrie jährlich mit sieben neuen Gesetzen und bindet dadurch bis zu 25% der Forschungs- und Entwicklungskapazitäten. Diese fehlt bei den fünf weiteren Herausforderungen in Europa, die uns alle betreffen: 

  • Die Dekarbonisierung des Verkehrs. 
  • Die Umstellung auf „software-defined vehicles“ (SDV) 
  • Der technologische Umbau, beispielsweise in der Batterietechnik. 
  • Der Zugang zu stabil günstigen Rohstoffen und Energie. 
  • Die Aus- und Weiterbildung von 25 Millionen betroffenen Beschäftigten. 

Für mich ist der letzte Punkt der Wichtigste, wenn es darum geht, Antworten auf die Herausforderungen zu finden: was würde mit vielen Gesetzen passieren, wenn die Gesetzgeber die komplexen Zusammenhänge der automobilen Supply Chain besser verstehen würden? Sind Zollbarrieren für Autos aus China von Vorteil für Europa? Wer wird die technischen Lösungen entwickeln für die Dekarbonisierung, die SDV, die Batterietechnik? Wer gestaltet EU-Geo- und Industriepolitik so, dass der Zugang zu Rohstoffen gesichert und Energie unendlich und fast kostenlos zur Verfügung steht? 

Die jetzige Generation hat uns bis dahin gebracht. Jetzt ändert sich Vieles. Die Welt von 2030 wird sehr viel anders aussehen als die Welt, die wir bis dahin kannten. Wir brauchen neue Skills und neue Ansätze, um diesen Herausforderungen zu begegnen.    

Die 25 Millionen Beschäftigten sind nicht nur in der Autoindustrie. Laut ACEA bietet die Autoindustrie direkte und indirekte Beschäftigung für 13 Millionen EU-Bürger. Das schließt 2,4 Millionen Jobs in der Fertigung ein.  

Ein Airbus-Konsortium für den europäischen Kleinwagen. 

Luca de Meo fordert eine europäische Industriepolitik.  

Denn wir in Europa haben sehr viele gemeinsame Interessen. Die Herausforderungen sind identisch (siehe oben). Die Experten müssen zusammenkommen und langfristige, gemeinsame Ziele festlegen. Die Gesetze müssen den Rahmen bilden und absichern, dass diese langfristigen, gemeinsamen europäischen Ziele erreicht werden.  

Es braucht nicht mehr Gesetze und Bußgelder, sondern intelligente Rahmenbedingungen, die uns Europäer gemeinsame Ziele erreichen lassen.

Wir wollen Dekarbonisierung. Voraussetzung dafür ist grüner, billiger Strom im Überfluss – dann sind Elektrofahrzeuge auch sinnvoll. Dazu muss die heutige Erzeugungskapazität nicht nur dekarbonisiert, sondern gleichzeitig verdoppelt werden. Die Erzeugungs-, Transport- und Speichertechnologien von heute sind noch zu teuer und zu ineffizient. In 10 oder 20 Jahren werden wir global technische Durchbrüche erleben – die Frage ist, welche Rolle Europa dabei spielt. 

Luca de Meo fordert mehr Raum für Wissenschaft und Technikforschung.  

Gebt den öffentlichen und privaten Akteuren wieder mehr Freiheit und mehr Verantwortung, um die Mobilität und die passenden Autos zu entwickeln.  Er nennt 10 Projekte (siehe Abbildung). 

Europäischer Kleinwagen  Elektrifizierung letzte Meile  Erneuerung des Fahrzeugbestandes 
Ausbau Ladeinfrastruktur  Rohstoffsicherheit für die EU  Sicherer Zugang zu Chips 
EU-Standards für SDV  EU-Industrie-Metavers (Digitalisierungs- und Tech-Investitions-Ecosystem)  EU-Standards für Batterierecycling 
EU-Wasserstoff-infrastruktur     

 

Luca de Meo’s Herzensprojekt ist der europäische Kleinwagen: der Cinquecento-Clio-up! (einen besseren Namen ist zu finden). Denn diese Kleinautos, für welche Japan berühmt ist, sparen bis zu 75% der eingesetzten Ressourcen. Das ist noch einmal mehr, als der Umstieg von Verbrennern auf Elektro! 

Und dabei erinnert er an ein Erfolgsprojekt der Europäer: Airbus. Kein europäisches Land allein ist in der Lage, einen Player in der Luft- und Raumfahrtbranche hervorzubringen. Aber gemeinsam produzieren Frankreich, Deutschland, Spanien und UK zivile und militärische Luftfahrzeuge auf globaler Ebene. 

Dennoch fehlt eines der wichtigsten Projekte auf der Liste. 

Bitte ergänzen: Industrieübergreifende Mobilitäts-Bildungsplattform.  

Aktuell versuchen alle Hersteller, Zulieferer und Händler, ihr Personal auf die neuen Technologien und Herausforderungen vorzubereiten. Enorme Ressourcen werden aufgebracht und es werden sämtliche Wege genutzt, um der Herausforderung in der Aus- und Weiterbildung zu begegnen. 

Und alle machen das Gleiche. Aber unabhängig voneinander. Die Ressourcenvergeudung ist enorm. 

Denn die Ausbildungsprogramme sind nahezu identisch. 

Warum findet man, analog zum europäischen Kleinwagen, nicht zusammen und baut eine gemeinsame Bildungsplattform für alle Europäer? Für die Mitarbeitenden in der Industrie, aber auch von Auszubildenden und Studenten. Als eine Basis für mehr Forschung und technische Entwicklung. Als Absprungspunkt zur Standardisierung, welche die Industrie so dringend braucht. 

Hier könnte ein ganzes Ökosystem von Universitäten, Fachhochschulen, Business-Schools, aber auch privaten Bildungsdienstleitern sich ansiedeln. Content und Lernformate können durch Skalierung sehr hochwertig und trotzdem sehr billig werden pro Teilnehmer. 

Die Geschichte zeigt: Bildungsoffensiven gehen immer einem Aufschwung in Forschung und Entwicklung voran, der sich wiederum durch höhere Wettbewerbsfähigkeit einer Ökonomie nach sich zieht.  

Anfangsinvestitionen könnten durch die EU erfolgen, wobei deren Aufgabe vor allem in der Schaffung eines rechtlichen Rahmens wäre. Die bestehenden Strukturen wie das European Institute for Innovation & Technology sind ein erster Ansatz. Hier bestehen bereits Erfahrungen, an die angeknüpft werden kann, die aber auch zeigen, was nicht funktioniert. 

Denn die Aufgabe der Ausbildung von Mitarbeitern ist am Ende die Aufgabe einer Führungskraft: des Managers, des Meisters und des Vorarbeiters. Deswegen muss die Bildungsplattform auch privatwirtschaftlich organisiert werden.  

Denn der Airbus-Kleinwagen wird durch die Europäer Renault, VW und Stellantis gebaut werden, nicht durch die EU.  

 

Verwandte Artikel