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Die erfolgreiche deutsche Autoindustrie hat in den letzten zehn Jahren drei große Dummheiten begangen: Diesel, Elektro und China.
Doch in der Automobilindustrie ist niemand dumm: Die Dichte an smarten, erfahrenen Expertinnen und Experten ist nirgends höher. Nirgendwo macht es mehr Spaß, als hier mit Kollegen an Projekten zu arbeiten.
Und doch: Alles zusammen ergibt viel Irrationales. Luca de Meo, seinerzeit CEO von SEAT, pflegte uns herauszufordern mit der Feststellung: „This industry is full of bulls***t.“
Oder in Forrest Gumps Worten: “Dumm ist der, der Dummes tut.“
Drei Dummheiten der Autoindustrie: Diesel, Elektro, China
Die Dieselkrise war eine Dummheit, die alle zutiefst bedauern.
Zum Hintergrund: Dieselmotoren stoßen bekanntlich sehr wenig CO2 aus. Aber Diesel produzieren auch Stickoxide (NOX). Diese kann man herausfiltern. Man muss nur Harnstoff (AdBlue) tanken. Das ist ein zusätzlicher Aufwand. Den Kunden an diesen Nachteil zu gewöhnen, schien den Produktstrategen 2010 unmöglich. Vergleicht man das mit dem komplizierten Ladevorgang bei Elektrofahrzeugen, wirkt es heute absurd.
Dumm halt.
Dann kam die Dieselkrise und alles wurde sichtbar: die Absprachen, die Abschalteinrichtungen, die mangelnde Aufsicht durch Politik und Kraftfahrbundesamt. In der Folge setzte man panikartig auf Elektrofahrzeuge, um umweltfreundlicher und CO2-frei zu werden.
Herbert Diess, Ex-CEO von Volkswagen, hat den gesamten Konzern auf diesen Strategiewechsel getrimmt: Milliarden wurden in den MEB und andere Elektrobaukästen gesteckt, Fabriken umgerüstet, Händlerverträge gekündigt. Nur um später festzustellen, dass die Kunden eine funktionierende Ladeinfrastruktur brauchen. Und die kann im stark regulierten Europa kein Hersteller für den Massenmarkt alleine auf die Straße bringen.
Und deshalb können Elektrofahrzeuge den normalen Kunden derzeit nicht überzeugen. Das war vorhersehbar und deshalb, sagen wir, nicht rational.
Denn mit dem Auslaufen der Förderung Ende 2023 brach der Absatz von Elektrofahrzeugen. Die Regierung kann keinen funktionierenden Markt kreieren. Gleichzeitig veröffentlichte der renommierte VDI (Verein Deutscher Ingenieure) im Dezember 2023 eine aufwändige Studie zum CO2-Fußabdruck von Fahrzeugen mit unterschiedlichen Antriebssträngen. Gemessen wurde, wie viel CO2 bei der Herstellung, der Nutzung über 200.000 km und der Entsorgung ausgestoßen wird. Das Ergebnis hat viele schockiert. Elektrofahrzeuge emittieren immer noch 75% des CO2 von Dieselfahrzeugen. Plug-in-Hybride liegen gleichauf mit Elektrofahrzeugen.
Die Experten in der Autoindustrie wussten es schon lange: Viel Geld in die Entwicklung von Autos zu stecken, die kaum jemand haben will und deren Beitrag zur Klimabilanz eher bescheiden ist, erschien lange Zeit unlogisch.
Aber die Folgen der nächsten Dummheit werden gerade erst sichtbar.
Die Chinesen haben spätestens 2022 die Weltmarkführerschaft bei Antriebsbatterien und Elektrofahrzeugen übernommen. Das Autobauen haben sie sich nicht zuletzt von den westlichen Herstellern “abgeguckt”, indem sie alle in Joint Ventures gezwungen haben. Alle haben bereits ihre Partnerschaften, und teilweise sind die Chinesen auch an den europäischen Mutterkonzernen beteiligt. Volvo ist bereits Chinesisch.
Die EU prüft nun die Einführung von Strafzöllen auf den Import chinesischer EVs auf den europäischen Markt.
Und das wird, wie der Amerikaner sagt, die nächste „shitshow“ – auch mit Ansage. Denn die Chinesen haben noch weit mehr Waffen in ihrem “Rachearsenal”: Viele deutsche Top-Autos gibt es nur, weil China das Volumen liefert, um die Entwicklungskosten zu verteilen. Denken wir an den Audi A8, das Flaggschiff der Marke: Ohne die Nachfrage aus China gäbe es das Auto schlicht nicht. Und China ist der Wachstumsmarkt der Zukunft, nicht Europa. Wenn sich also die Chinesen gegen die Strafzölle wehren, dann ist das für alle deutschen Hersteller existenziell schmerzhaft.
Das ist keine Vermutung. Das wissen wir bereits.
Die perfekte Zwickmühle ist aufgebaut, mit unserer Beteiligung: Diesel, Elektro, China. Was für ein Drama, direkt vor unseren Augen!
Fast alle Optionen sind ausgeschöpft.
Die Manager in der Automobilindustrie sind an Erfolge gewöhnt und daran, dass Probleme einfach “weggebulldozert” werden: Ich war an dem Tag in Wolfsburg, als Volkswagen im Zuge des Vergleichs in der Dieselkrise 22 Milliarden Dollar an den US-Staat überwies. Im Werk Wolfsburg ging alles seinen gewohnten Gang. Keine einzige Glühbirne flackerte an diesem Tag.
Heute ist das anders. Und jeder weiß es: Diesel, Elektro, China haben die Kassen geleert und die Verschuldung in die Höhe getrieben.
Unser Held, die deutsche Autoindustrie, ist schwer angeschlagen.
Welche Optionen haben die Topmanager?
Mehr Umsatz ist fast aussichtslos. Die Märkte sind gesättigt. Der Kernmarkt Deutschland und viele andere Länder stehen am Rande einer Rezession. Die Konkurrenz im Massenmarkt ist mit Renault und Stellantis längst nicht mehr so schlafmützig wie noch vor einigen Jahren. Zudem beißen die Chinesen ein großes Stück vom Kuchen ab.
Viele Kosten lassen sich nur schwer senken. Denn die Regulierung hat reguliert, als gäbe es kein Morgen, an dem die deutsche Automobilindustrie nicht so stark aufwachen würde wie in den 2010er Jahren.
Produktinvestitionen können kaum reduziert oder verschoben werden, denn die Vorgaben sind hart. Zum Beispiel durch die EU7-Abgasnorm. Unter EU7 kann ein Polo nicht mehr konventionell fahren und wird dadurch deutlich teurer. Ein vergleichsweise umweltfreundlicher Polo!
Personal- und Energiekosten sind in Deutschland strukturell hoch und werden es nach Einschätzung von Experten auch bleiben. Der Wegfall des russischen Gases und die Energiewende werden teurer als erwartet und machen Strom langfristig teurer.
Nun kann man noch über die Preise reden, und das ist die größte Stärke der deutschen Hersteller. Alle deutschen Marken (auch Opel) haben eine hohe Reputation und Preissetzungsmacht.
Jetzt bleibt nichts anderes übrig, als tief in die Werkzeugkiste der Topmanager zu greifen. Übernahmen, harte Restrukturierungen, Werksschließungen, Kapazitätsabbau. Ich für meinen Teil bereite mich genau auf dieses Szenario vor.
Wie sich dieses Drama in ein Happyend wandelt.
Betrachten wir das Ganze einmal anders: Das Drama der deutschen Automobilindustrie folgt der Erzählstruktur eines Hollywoodfilms.
Hollywood-Filme folgen in ihrer Dramaturgie einem standardisierten Ablauf, der unter dem Namen “A Hero’s Journey” bekannt geworden ist.
Das Schema funktioniert wie folgt: Zu Beginn erscheint der Held in seiner alltäglichen Umgebung. Die handelnden Personen werden vorgestellt. Dann kommt das Abenteuer: Der Held stellt sich einer neuen Herausforderung, erobert die Welt, muss den vertrauten Alltag verlassen. Und dann tauchen Widersacher auf. Der Held muss sich gegen Widerstände zur Wehr setzen und am Ende um seine Existenz kämpfen. Und nun kommt die dramatische Wandlung: In diesem Kampf verwandelt sich der Held – durch seine Wandlung (physisch, psychisch) gewinnt er die entscheidenden Kräfte für den letzten Akt: “Sturm auf die Burg”. Unter Aufbietung seiner letzten Kräfte gelingt es dem Helden, die Gegner zu besiegen und den Sieg zu erringen. Der Held bekommt das Mädchen und führt fortan ein glückliches Leben.
Wir haben alle ein Recht auf ein Happyend.
Die Geschichte der deutschen Automobilindustrie folgt bisher genau der Erzählstruktur Hollywoods. Und deshalb glaube ich fest an ein Happy End.
Um das besser zu verstehen, müssen wir zurückspulen zur Transformation. Denn was bedeutet die Transformation des Helden genau?
Zunächst ist das Scheitern des Helden strukturell wichtig für die Geschichte.
Ohne Scheitern gibt es keinen Grund für den Helden, sich zu ändern. Das Scheitern ist wesentlich für die gesamte Geschichte und für die glaubwürdige Entwicklung, Transformation des Helden. Er muss scheitern, damit er alte Gewohnheiten, Strategien, Überzeugungen, Einstellungen, Fähigkeiten aufgibt und durch neue ersetzt.
Scheitern und der verbundene Schmerz gehören zur Transformation
Der Held muss wieder in einen Zustand des Lernens versetzt werden. Sein Ego, welches sich gegen Veränderung wehrt, muss zweifelsfrei bezwungen werden. Dann verändert sich unser Held als Person. Er verändert seine Perspektive auf das Problem und findet so Lösungen, die funktionieren. Und darin ist er Mensch. Das verbindet uns mit dem Helden. Darum lieben wir diese Filme: Weil wir unterbewusst wissen, dass so das ganze Leben ist. Scheitern tut weh und Scheitern steht für Schwäche und Niederlage. Aber eigentlich ist Scheitern nur der Übergang zu einem neuen Zustand.
Die deutsche Autoindustrie muss scheitern, um sich zu transformieren.
Mal ehrlich, Leute, die deutsche Autoindustrie IST heute bereits gescheitert.
Die deutschen Hersteller und Zulieferer sind hoch verschuldet. Dem Management gehen die Optionen aus. Der Regierung geht das Geld aus, aber auch der Wille zur Unterstützung. Die Öffentlichkeit fordert von der Industrie den Umstieg auf Elektro, aber die Kunden wollen nicht kaufen.
Es ist hoffnungslos.
Aber es ist noch lange kein Schachmatt. In diesem Drama können wir noch einige Züge machen.
So wird das Veränderungspotenzial, das in den Mitarbeitenden steckt, nur oberflächlich genutzt. Qualifikation, Ideenreichtum, Kreativität und Veränderungsbereitschaft der Belegschaft sind hoch. Die Autos, die heute vom Band rollen, sind immer noch großartig: Aus Deutschland kommen hervorragende Elektroautos. Die Marktanteile in den profitablen Märkten sind nahezu stabil. Es wird noch gutes Geld verdient.
Und hier gibt es einen Hebel, den die Topmanager der deutschen Autoindustrie noch nicht genutzt haben. Das lernen wir von Hollywood:
Das Scheitern des Helden kann eine nachhaltige, glaubwürdige Veränderung in den Köpfen der Mitarbeiter bewirken.
Der stärkste verbleibende Hebel ist, die Denkweise in der Automobilindustrie zu ändern.
Denn das Scheitern der Automobilindustrie hat das Scheitern vieler persönlicher Karrieren zur Folge. Die Automobilindustrie ist letztlich die Summe der Karrieren der Menschen, die in ihr arbeiten. Ohne Menschen bestehen sie nur aus leeren Fabriken und Bürogebäuden.
Hier liegt ein entscheidender Ansatzpunkt, der auf der Hand liegt, aber viel zu wenig genutzt wird. Denn die Manager konzentrieren sich lieber auf neue Produkte und Technologien (oder Software), effizientere Prozesse, besseres Marketing etc. Und verpassen diese Chance, weil sie dieser harten Wahrheit ausweichen. Doch das unterschätzt die Anpassungs- und Lernfähigkeit von Menschen.
Warum geben wir den Beschäftigten nicht die Chance, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen? Sie sind die Expertinnen und Experten, die schon die komplexesten Probleme gelöst haben.
Denn wenn sich die Industrie wandelt, wenn sich die Grundlagen des Geschäfts und die Aufgaben der Mitarbeiter grundlegend ändern, müssen sich dann nicht auch Überzeugungen, Werte, Einstellungen und Denkweisen grundlegend ändern? Und wenn das der Fall ist: Müssen Manager nicht das Umfeld gestalten und Werkzeuge und Unterstützung bereitstellen, um die Menschen in der Industrie bei ihrer PERSÖNLICHEN Transformation zu unterstützen?
Unsere Autowelt hat sich verändert.
Der Werkzeugkasten für das Krisenmanagement im Jahr 2024 enthält andere Instrumente als 2015 oder 2008.
Auch die Werkzeuge und Interventionen durch das Management sind anders. Besonders die Lockdowns haben dazu geführt, dass viele konventionelle Tools, die früher nur für Einzelinterventionen zu Verfügung standen, digitalisiert wurden.
Und plötzlich sind diese Tools skalierbar und für die Transformation der Autoindustrie anwendbar.
Das sind einige Beispiele:
- Unkonventionelle Lernformate zur Exploration neuer Verhaltensweisen.
- Veränderungsmanagement und systematische Interventionen.
- Prozesslernen im Team, im Projekt, bei der Arbeit.
- Mentoring und individuelles Coaching.
- Coaching at Scale
Nur sind sie in der Autoindustrie kaum verbreitet. Unser “Future Skill Designer” kann bei der Zuordnung helfen. Dazu haben wir dieses Tool entwickelt.
Sagt das bitte den Topmanagern.
Sagt es den Politikern, damit sie unterstützen können. Und die Finger von der Industrie lassen. Die Verantwortlichen müssen die PERSÖNLICHE Transformation ihrer Mannschaft unterstützen.
Die Veränderung des Mindsets ist eine Managementaufgabe. Sie kann nicht delegiert werden. Die Manager sind damit allein.
Die Personalabteilung kann dabei unterstützen. Aber Mindset-Veränderung ist Führungsaufgabe und kann nicht delegiert werden.
Die Teams der Automobilindustrie haben das Zeug, die “Burg zu stürmen” und den Sieg zu erringen. “Sieg” bedeutet, dass auch in Zukunft die besten und wirtschaftlichsten Autos “Designed and Made in Germany” sein werden.
Die deutsche Autoindustrie wird nicht untergehen.
Sie wird sich massiv verändern.
Gebt den Managern diese Tools.